Aufsatz für die Soldaten-Zeitschrift "zur Sache BW"

Im Sinne des Comprehensive Approach sind nicht-staatliche Akteure aus Missionen zur Stabilisierung, zur Konfliktbearbeitung, zum Staatsaufbau und zur Friedensförderung nicht mehr wegzudenken. Die Zusammenarbeit zwischen NGOs und dem Staat – und besonders dem Militär – ist aber alles andere als konfliktfrei. Diese Konflikte sind nicht nur in unterschiedlichen Zielvorstellungen, sondern auch in widersprüchlichen Handlungslogiken und Legitimationsmechanismen der beteiligten Akteure angelegt. Vernetztes Handeln im Sinne eines Whole of Nation Approach kann nur unter der Verständigung auf ein gemeinsames Leitbild erfolgreich sein, dass die divergierenden Vorstellungen, Logiken und Mechanismen transparent macht und dort zusammenführt, wo das möglich ist.

Demgegenüber steht der bisherige Toolbox-Ansatz, der nicht-staatliche Experten für Konfliktbearbeitung, Friedensförderung und Staatsaufbau genauso wie staatliche Akteure und das Militär als Teil des Instrumentariums sieht, das zur Durchsetzung außen- und sicherheitspolitischer Ziele und Interessen zur Verfügung steht. Aber genau diese instrumentelle Sichtweise widerspricht dem Selbstverständnis zivilgesellschaftlicher Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit und Konfliktbearbeitung. Besonders anschaulich wurde dieser Konflikt im Kontext der von Ex-Bundesminister Niebel aufgelegten Afghanistan-Fazilität, die vorsah, dass nur solche Organisationen diese Sondermittel erhalten würden, die mit der Bundeswehr im Bereich des Regionalkommandos Nord in Afghanistan zusammenarbeiteten.
Dabei können die unterschiedlichen Akteure auf vielfältige Weise voneinander profitieren. Die Logistik der Bundeswehr hilft allen Akteuren in einem Krisengebiet. NGOs verfügen oft über jahrzehntelange Kontakte in ein Krisengebiet und können über ihre Partnernetzwerke veränderte Konfliktdynamiken in einer einzigartigen Weise wahrnehmen und sie frühzeitig und niederschwellig bearbeiten. Andernorts kann die Bundeswehr das Sicherheitsumfeld für die Arbeit ziviler Kräfte verbessern. Die Herausforderung liegt darin, die Stärken und Kompetenzen der unterschiedlichen Akteure in einer Weise zusammenzuführen, dass sie sich gegenseitig befruchten können, die beteiligten Organisationen aber nicht zu Aufgaben gedrängt werden, die ihrem Selbstverständnis widersprechen.
Schlüssel, um das zu erreichen, liegen in der Verständigung auf ein Leitbild, in der akteursübergreifenden Lageanalyse und in der gemeinsamen Strategiebildung. Das sind alles Elemente, die im Whole of Nation Approach angelegt sind, aber in der deutschen Debatte bisher zu kurz gekommen sind.  Zu kurz gekommen sind sie, weil sich deutsche Strategiedebatten schnell auf die operative Ebene verengen, ohne vorher eine Zielbestimmung vorgenommen zu haben.
Dieser Aufsatz reflektiert Ergebnisse aus der Tagungsarbeit an der Evangelischen Akademie Loccum im Bereich internationale Politik aus den letzten fünf Jahren. Während dieser Zeit fanden hier zahlreiche Tagungen statt, die sich mit ziviler Konfliktbearbeitung, zivil-militärischer Zusammenarbeit, Staatsaufbau, Strategiebildung und unterschiedlichen Interventionen auseinandergesetzt haben. Dabei hat sich immer wieder gezeigt, dass die Rollen der unterschiedlichen Akteure geklärt sein müssen, dass eine Verständigung über die gemeinsamen Ziele erfolgen muss und dass es eine wichtige Erfolgsvoraussetzung ist, die gemeinsame Strategiebildung nicht erst ad hoc und vor Ort von den Akteuren vornehmen zu lassen, die sie umsetzen sollten.
Rollenverständnis: warum die Zusammenarbeit mit NGOs auch staatlichen Akteuren eine andere Herangehensweise abverlangt
In der Diskussion um die zivil-militärische Zusammenarbeit in Afghanistan gab es immer wieder Bemerkungen in der Richtung, dass man die ganze Aufregung seitens der NGOs in Deutschland über die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr gar nicht verstehen könne, schließlich gebe es bei der Kooperation vor Ort gar keine größeren Probleme. Schnell wurden solche Bedenken zivilgesellschaftlicher Akteure dann als politisch motiviert und wenig sachdienlich abqualifiziert. Dabei weisen diese Diskussionen auf ein grundlegendes Problem hin, dessen Bearbeitung die Zusammenarbeit aller deutschen Akteure in einem Krisengebiet – ziviler wie militärischer, staatlicher wie nicht-staatlicher – deutlich besser und effektiver machen könnte.
Der australische Soziologe Goodin hat herausgearbeitet, wie sich die Legitimität des Handels von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft unterscheidet.  Wichtig ist dabei, woran sich für die unterschiedlichen Akteure richtiges und gutes Handeln bemisst und wer die Legitimität ihres Handelns beurteilt. Für zivilgesellschaftliche Aktivisten sind die Absichten, das Ziel und der Zweck ihres Handelns von größter Bedeutung. Ihre Handlungen sind aus ihrem Selbstverständnis dann legitim, wenn sie das Richtige bezwecken sollen. Inwiefern NGOs in diesem Sinne legitim handeln, wird von anderen Organisationen und Aktivisten in ihren Netzwerken beurteilt.
Hier ergibt sich zwangsläufig eine Spannung in der Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und staatlichen Stellen. Für einen militärischen Befehlshaber sind die politischen Vorgaben und operativen Anweisungen ausschlaggebend, die er im Rahmen der dafür vorgesehenen Strukturen und Prozesse umsetzt. Für die Expertin für Konfliktbearbeitung und Friedensförderung stellt sich jedoch ganz zentral auch die Frage nach dem „wofür?“, nach den Absichten hinter der politischen Zielvorgabe. Für sie muss es eine ausreichend große Übereinstimmung zwischen der politischen Absichtserklärung und den Überzeugungen in ihrem Netzwerk befreundeter Organisationen geben, was eine angemessene Zielsetzung für die Krisenbewältigung ist, zu der sie ihren Beitrag leistet. Das bedeutet, dass staatliche und nicht-staatliche Akteure in zwei unterschiedlichen Situationen das absolut gleiche in gleicher enger Kooperation tun können, aber einmal ist es legitim, weil es ein gemeinsames Ziel gibt, und einmal ist es illegitim, weil die staatliche Zielsetzung Überzeugungen in der Zivilgesellschaft widerspricht.
NGOs sind nicht nur Instrumente
Genau an dieser Stelle scheitert der Toolbox-Ansatz der Vernetzten Sicherheit oder des nun propagierten Vernetzten Handelns. Solange der Blick nur auf das operative Geschäft gerichtet wird und NGOs so als Element eines breiten Instrumentariums der zivilen Konfliktbearbeitung und Friedensförderung zur Umsetzung staatlicher Zielsetzungen gesehen werden, so lange kann es keine verlässliche Zusammenarbeit geben, da es ohne eine vorausgehende Abstimmung zur gemeinsamen Zielsetzung aus staatlicher Sicht nur schwer vorauszusagen ist, wann NGOs mit staatlichen Akteuren und dem Militär zusammenarbeiten und wann nicht. Das Rollenverständnis im dritten Sektor erfordert hingegen einen partnerschaftlichen Ansatz, der die nicht-staatlichen Organisationen schon in der Zielfindung mit einschließt. Für eine solchermaßen geartete Zusammenarbeit bietet sich die Etablierung eines gemeinsamen Leitbildes an, da es damit schon routinegemäß zu einer größeren Kongruenz in der Zielsetzung kommen sollte.