Kurzbericht der Tagung „Hilfreich, kohärent und effizient? Deutsche Entwicklungspolitik auf dem Prüfstand“ vom 13. bis 15. September 2010

Die deutsche Entwicklungspolitik befindet sich in einer entscheidenden Umbruchphase. Außenwirtschaftsförderung gesellt sich als zentrale Motivation in Konkurrenz zur Armutsbekämpfung. Effektivität und Sichtbarkeit deutscher Entwicklungszusammenarbeit sollen gleichzeitig erhöht werden – unter anderem durch die stärkere Einbeziehung von Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft. Ebenso werden Mittel von multilateralen Kooperationen hin zu bilateraler Hilfe verlagert. Schließlich wurde das institutionelle Gefüge gerade im Rahmen der Vorfeldreform neu geordnet.


Dieses alles geschieht zu einer Zeit, in der die deutsche Regierung ihre Rohstoffstrategie und ihre Regionalkonzepte für Afrika und Lateinamerika gestaltet. Kernbestandteil aller dieser Reformanstrengungen ist eine Re-Definierung der Ziele, Interessen und Überzeugungen, die deutscher Entwicklungspolitik zugrunde liegen. Zugleich soll sich über die Strategien zu deren Durchsetzung verständigt werden. Auf der strategischen Ebene geht es besonders darum, Kohärenz unter den verschiedenen nach außen gerichteten Sektorpolitiken herzustellen.
Diese Herausforderungen sind eng mit einander verbunden und erfordern die Definition von Interessen, Werten und den resultierenden Zielen deutscher Entwicklungspolitik. Daran geknüpft ist deren Wechselwirkung mit internationalen Verpflichtungen und Anstrengungen. Gerade die Erzielung höherer entwicklungspolitischer Kohärenz macht es nötig, nicht nur über Leitbilder zu sprechen, sondern auch das institutionelle Gefüge zu thematisieren, durch das sektorale Politiken besser koordiniert werden könnten. Eine solche Leitbilddiskussion muss breit und öffentlich geführt werden. Ziel muss es sein, die Eckpunkte eines gesellschaftlichen Leitvertrags zu bestimmen, auf dessen Basis und Leitlinien deutsche Südpolitik in den nächsten Jahren aufbauen kann.
Wie lässt sich die Kohärenz von Entwicklungspolitik mit anderen Politiken verbessern? Wohin soll die Neuausrichtung und Neuorganisation deutscher Entwicklungszusammenarbeit führen? Welches sind die Strategien und Mittel, mit denen sie in Zukunft umgesetzt werden soll?
Eine Woche vor dem Gipfeltreffen zu den Millennium Development Goals der Vereinten Nationen, das eine Bestandsaufnahme und Strategieentwicklung zur Erreichung der Armutsbekämpfungsziele in 2015 leisten sollte, behandelte die Loccumer Tagung den Stand deutscher Entwicklungspolitik und ihre Neuausrichtung.

 

Leitbild

In Bezug auf das Leitbild deutscher Entwicklungspolitik ist weder klar, was sie antreiben soll, was sie leisten soll, noch wie diese Ziele umzusetzen sind. In der Diskussion wurde klar, dass eine Gruppe Entwicklungspolitik als eigenständiges Politikfeld versteht, das seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen muss, während für andere Entwicklungspolitik lediglich ein funktionaler Bereich der Außenpolitik ist. Vereinfacht lassen sich diesen Perspektiven weitere Haltungen der Politik gegenüber zuordnen.
Diejenigen, die Entwicklung als einen eigenen Politikbereich verstehen, folgen primär einem normativen Antrieb, für globale Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung einzutreten. Wichtig ist für Sie der Zweck und die Intentionen, die hinter dieser Politik stehen. Sie unterstützen die Expansion des Politikfeldes jenseits von Armutsbekämpfung in andere Bereiche, die globale Gerechtigkeit betreffen, wie z.B. Klimapolitik. Wenn es ihnen um Interessen geht, denken Sie diese global und sehen im deutschen Entwicklungsministerium die Interessenvertretung der Entwicklungsländer im deutschen politischen Prozess.
Anhänger einer funktionalen Definition von Entwicklungspolitik verfolgen ebenso Armutsbekämpfung und Entwicklung als Ziel. Für sie legitimiert sich Entwicklungspolitik durch ihre Wirksamkeit. Gute Entwicklungspolitik ist durch ihre Ergebnisse und nicht durch ihre Intentionen erkennbar. Einer Ausdehnung des Politikbereichs stehen sie skeptisch gegenüber, da Effizienz im Kerngeschäft geringerer Wirksamkeit in anderen Bereichen vorzuziehen ist. Als funktionaler Teil der Außenpolitik kann und soll Entwicklungspolitik für sie deutsche Interessen Entwicklungsländern gegenüber durchsetzen. Diese Politik ist von nationalen Interessen geleitet.
In der aktuellen Diskussion treffen diese beiden sehr unterschiedlichen Perspektiven regelmäßig aufeinander. Sehr offenbar wurde dieser Gegensatz im Beitrag von BMZ-Abteilungsleiter Klein, der dafür plädierte von „einer falschen Zwecklogik“ wegzukommen, weil schließlich „Wirksamkeit wichtig sei.“ Diese Einschätzung fand Unterstützung im Beitrag von Prof. Sangmeister, der für eine Beschränkung auf das Kerngeschäft eintrat, weil Entwicklungszusammenarbeit nur in diesem Bereich erfolgreich sein könne. Gleichzeitig fragte er, ob eine solche Beschränkung politisch zukunftsfähig sein könnte. Ebenso warnte der stellvertretende Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik Prof. Maihold vor der Überdehnung der Grenzen der Entwicklungspolitik. Ihm zufolge muss Politik immer Interessen verfolgen, da Werte an sich keine Prioritätensetzung erlauben und damit allein für Politik untauglich sind. Allerdings ist Entwicklungspolitik stark normativ aufgeladen, während ihre Wirkungen oft nicht erfahrbar sind. Das führt zu einem Rechtfertigungsdruck, der nur schwer zu bedienen ist und bisher durch weitere normative Überhöhung bewältigt wurde. Neben der problematischen normativen Orientierung muss Entwicklungspolitik zudem in einem äußerst komplexen Kontext mit vielen Akteuren auf den unterschiedlichsten Ebenen umgesetzt werden. Diese Schwierigkeiten begrenzen die Wirksamkeit von EZ und machen es noch unwahrscheinlicher, die hochgesteckten Ziele zu erreichen.
Neben alledem muss sich die Entwicklungspolitik westlicher Geber zunehmend gegenüber neuen Gebern, einschließlich China behaupten. Dort wird Entwicklungszusammenarbeit vom Wirtschafts- und Handelsministerium betrieben. Eine solche Politik dient entsprechend weniger zur Umsetzung von Werten und resultiert in einer Schwächung der Normen, die von OECD Ländern vertreten werden. Sangmeister beschreibt das westliche Modell der Entwicklungspolitik als ein Kind der Aufklärung – eine Perspektive, die nicht von allen Ländern geteilt wird.
Maihold zufolge ist der Versuch die Bedeutung der Entwicklungspolitik zu erweitern wahrscheinlich fehlgeschlagen. Das Politikfeld müsse nun beschränkt werden und auch der Drang des BMZ in die Sicherheitspolitik muss überdacht werden. Sangmeister unterstützt diese Sichtweise, da nach seiner Analyse der omnipotente Anspruch expansiver Entwicklungspolitik nicht realisiert werden kann. Selbst im Kerngeschäft der Entwicklungszusammenarbeit haben jahrzehntelange Transfers in den Süden nicht zu den erwünschten Outcomes geführt.

Kohärenz

Eng verbunden mit der Frage nach dem Grundverständnis von Entwicklungspolitik ist ihr Verhältnis zu anderen Politikfeldern. Unabhängig von ihrem jeweiligen Verständnis von Entwicklungspolitik waren sich die Tagungsteilnehmer einig, dass zwischen Entwicklungspolitik und anderen Sektorpolitik Kohärenz bestehen sollte. Allerdings bestand keine Einigkeit, wie diese Kohärenz herbei zu führen ist.
Diejenigen, die aus normativer Motivation eine interessenunabhängige Entwicklungspolitik wünschen, fordern entwicklungspolitische Kohärenz: andere Politikfelder sollen ihre Politiken an Entwicklungsgesichtspunkten ausrichten. Das meist zitierte Beispiel war hier die Agrarpolitik, die durch die Abschottung des europäischen Marktes, europäische Überproduktion und Subventionen die Profitabilität von Landwirtschaft in Entwicklungsländern massiv behindert.
Dem gegenüber steht die Sichtweise derer, die Entwicklungspolitik als ein funktionales Feld der Außenpolitik verstehen. Für sie kann Kohärenz nur so hergestellt werden, dass sich Entwicklungspolitik in das Konzert anderer Außenpolitiken einordnet, statt sich diese unterzuordnen. Die Frage ist hier, welche Ressorts die Leitlinien vorgeben oder wie sie in der Ressortabstimmung entwickelt werden können.
Maihold stellte fest, dass deutsche Außenpolitik immer mehr von Krisen getrieben wird und immer weniger zukunftsorientiert und perspektivisch agiert. So mangelt es an nationalen Interessenprofilen und die Entwicklung der Regionalkonzepte verständigt sich auf den jeweils kleinsten gemeinsamen Nenner. Das ist für Entwicklungspolitik problematisch, da es hier um langfristige Prozesse geht, wie in der Diskussion immer wieder bemerkt wurde. Diese Inkompatibilität versucht das Auswärtige Amt mit der dort „neu erfundenen Kohärenzkompetenz“ (Maihold) auszugleichen. Außenpolitische Kohärenz wird so durch den Mitzeichnungsprozess hergestellt. Als passives Instrument führt der Prozess erst bei Widersprüchen zu einer Vermittlung zwischen unterschiedlichen Positionen. Ein solcher Prozess kann weder perspektivisch Leitlinien entwickeln noch Kosten und Nutzen globaler öffentlicher Güter angemessen berücksichtigen. Ein erstes Ziel könnte die Vereinheitlichung der Lageeinschätzung sein. Zudem könnte über den politikfeldbezogenen und strategischen Dialog mit regionalen Führungsmächten eine Politisierung der Zusammenarbeit herbeigeführt werden.
Neben der Konzeptentwicklung könnte laut Maihold mehr Kohärenz zudem durch klare Kompetenzzuordnung für ODA-Mittel und die Politisierung von Kohärenz erreicht werden. Inzwischen ist die Verantwortung für ODA-Mittel so diffus, dass fast alle Ministerien eigene ODA-Mittel vergeben. Würde die Zuständigkeit für ODA-Gelder exklusiv beim BMZ liegen, könnte das Ministerium dafür Sorge tragen, dass zumindest die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit so ausgegeben werden, dass sie nicht widersprüchlichen Zielen dienen würden. Neben einer solchen administrativen Lösung könnte die explizierte Politisierung von Kohärenz durch die Ernennung eines politischen Beauftragten für die Ressortabstimmung zu besserer Koordination führen. Anstatt auf Koordinierung durch ministeriale Umlaufprozesse zu vertrauen, würde ein solcher Beauftragter auf Inkohärenz hinweisen, unabgestimmte Politik aus der Tiefe der Verwaltung ans Licht bringen und Koordinierung auf politischer Ebene aushandeln.

Koordination

In seinem Eröffnungsvortrag unterstrich Klein, dass es dem BMZ um die Steigerung der Wirksamkeit deutscher Entwicklungszusammenarbeit ginge. Neben erhöhter Wirksamkeit durch klarere konzeptionelle Vorgaben und bessere inter-ministerielle Koordinierung soll Entwicklungszusammenarbeit zudem durch die Einbeziehung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft effektiver gemacht werden. Diese Einbeziehung stellt privatwirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteure vor unterschiedliche Herausforderungen. Auch hier wird wieder klar, dass es grundsätzliche Unterschiede gibt zwischen denen, die in Entwicklungszusammenarbeit aus normativen Antrieb tätig sind und denen, die EZ funktional verstehen.
Wie sich bei der Auseinandersetzung um die Mittel der Afghanistanfazilität zeigt, wehren sich viele Nichtregierungsorganisationen gegen die Inanspruchnahme ihrer Arbeit durch die Regierung. Für sie ist es nicht annehmbar, ihre Aktivitäten in Afghanistan dem Ansatz der vernetzten Sicherheit unterzuordnen, um Mittel der Afghanistanfazilität zu erhalten, insbesondere solange nicht geklärt ist, was diese Unterordnung bedeutet und wie das BMZ vernetzte Sicherheit definiert. Für Ursula Kapp-Barutzki (Care Deutschland-Luxemburg) liegt die Aufgabe der Zivilgesellschaft darin, für Menschen einzutreten und ihnen zu helfen, zu einer besseren Existenz zu kommen. Unter dieser Prämisse gibt es vielfältige Kooperationsmöglichkeiten zwischen Zivilgesellschaft, Staat und Privatwirtschaft, aber auch Grenzen dessen, was NROs leisten können. Vorgaben und Ziele in den Vergaberichtlinien sind an sich kein Problem, solange sie nicht dem Grundanliegen von NROs widersprechen und Förderentscheidungen transparent getroffen werden. Gleichzeitig ist auch ein Trend zu verzeichnen, dass NROs vermehrt zu Auftragnehmern staatlicher Stellen (z.B. der EU) werden und als Consultants Projekte umsetzen. Das erlaubt stärkere staatliche Steuerung der Mittelverwendung, geht aber auch an den Kern zivilgesellschaftlichen Selbstverständnisses.
Aus eher funktionaler Perspektive vertrat Michael Rabbow von Boehringer Ingelheim die These, dass eine starke Zivilgesellschaft zu einer funktionierenden Gesellschaft beiträgt und so durch Wertschöpfung in einer funktionierenden Wirtschaft einen stabilen Staat ermöglicht. Somit erfordert Entwicklung die Zusammenarbeit aller drei Sektoren: Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Die Berührungsängste zwischen Staat und Wirtschaft sind geringer, aber gleichzeitig gibt es für Unternehmen von Exportunterstützung abgesehen weniger konkreten Anlass, sich für Entwicklung einzusetzen. Hier, so Rabbow, muss die Zivilgesellschaft im Dialog mit Industrie und Staat immer wieder an die Verantwortung von Unternehmen erinnern und diese fordern.
Unternehmen können gerade deshalb gute Träger von Entwicklung sein, da es in vielen Entwicklungsländern zu viel Staat gäbe, so Rabbow. Hier können Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft einen Motivationsschub hin zu mehr Eigenverantwortung leisten. Ein Mittel zu Stärkung der Wirtschaft sind Private Public Partnerships (PPPs), aber auch die Ausbildungsförderung in Deutschland und durch deutsche Fachkräfte vor Ort (wie z.B. die Senior Experts) können zu tragfähigen Wirtschaften beitragen. Insbesondere sieht Rabbow Potenzial für die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Kirche, in die Wirtschaft ihre Kompetenz und Kirchen ihre Netzwerke in den Zielländern einbringen können. Kapp-Barutzki sieht in der Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft auch erhebliches Potenzial, besonders bei der Förderung lokaler und regionaler Wirtschaft. So ist Care in PPPs wie Fair-Trade-Kaffeee aktiv und Care Bangladesh baut eine Textilfabrik für die Belieferung des deutschen Markts. Sie machte aber zugleich deutlich, dass NROs vor der Zusammenarbeit mit Unternehmen sorgfältige Due Dilligence Prozesse aufstellen sollten.
Hier wurde wieder offenkundig, dass Staat, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft unterschiedlichen Handlungslogiken folgen, die es in der Zusammenarbeit zu beachten und zu respektieren gilt. Für Rabbow folgt daraus der Auftrag neue Modelle der Zusammenarbeit zu entwickeln, die keine Vermischung der Rollen erfordern, sondern vielmehr auf der Erkenntnis aufbauen, dass Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft Teil der Lösung sind. So sind NROs in Community Development und Grassroots Organizing einzigartig in ihrer Arbeit an der Basis, während die Wirtschaft durch Schaffung von Wertschöpfungsketten Armut bekämpfen kann. Der Staat muss die Rahmenbedingungen vorgeben und absichern, die das Wirken von Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft ermöglichen.