Bericht zur Tagung an der Evangelischen Akademie Loccum vom 3. bis 5. Dezember 2010

Vernetzte Sicherheit (Comprehensive Approach) beansprucht Sicherheit mit mehr als nur  militärischen Mitteln zu gewährleisten. Strategien werden entwickelt, um unterschiedliche Regierungsressorts und nicht-staatliche Akteure einzubinden. So beziehen sie wirtschaftliche, gesellschaftliche und politisch-administrative Aspekte mit ein. Das soll ein ganzheitliches und kohärentes Vorgehen ermöglichen.Allerdings wird die Frage nach der Umsetzung von vernetzter Sicherheit in der Planung von Einsätzen kaum angesprochen. Im Sinne des „Comprehensive Approach“ wäre aber gerade das ein Kernbestandteil eines wirklich integrativen Zugangs zu Sicherheit. Dafür müssten nicht nur zivile staatliche Akteure in Lagebeurteilungen und Einsatzplanungen einbezogen werden. Vielmehr wären alle gesellschaftlichen Akteure einschließlich ziviler Konfliktbearbeiter und Helfer in die politisch-strategische Planung einzubeziehen, da sie  für die Umsetzung der Strategie von Bedeutung sind. Dafür fehlt in Deutschland bislang ein tragfähiges Gesamtkonzept.
Anlässlich der Tagung „Entwicklungshilfe mit Stahlhelm? Vernetzte zivile und militärische Pla-nung für Frieden und Stabilität in Krisengebieten“ kamen an der Evangelischen Akademie     Loccum vom 3. bis 5. Dezember 2010 Akteure, Experten und an vernetzter Sicherheit Interessierte zusammen, um die Entwicklung der politischen und institutionellen Rahmenbedingungen voranzubringen, die eine erfolgreiche Interaktion zwischen Militär, zivilen staatlichen Akteuren und Zivilgesellschaft im Planungsprozess möglich machen.
Schon für den Comprehensive Approach als das Konzept, auf dem der deutsche Zugang der Vernetzten Sicherheit beruht, fehlt eine einheitliche Definition, wie Dr. Hans-Georg Ehrhart vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik zu Beginn der Tagung feststellte. Diese konzeptionelle Unklarheit zieht sich konsequent durch Diskussionen zur Umsetzung vernetzter Sicherheit auf allen Ebenen: Zweck, Ziele, Strategien und Instrumente.
Um ein gemeinsames und integriertes Planen und Vorgehen zu ermöglichen, muss nicht nur Klärung, sondern auch Verständigung unter den beteiligten über die zugrunde liegenden Prinzipien herbeigeführt werden. Darüber hinaus müssen Koordinierungs- und Kooperationsprozesse so gestaltet werden, dass sie diesem gemeinsamen Verständnis und seinen Prinzipien gerecht werden.
Die Loccumer Diskussionen arbeiteten einige Aspekte heraus, bei denen es prinzipiellen Klärungsbedarf gibt, und führten zu neuen Erkenntnissen besonders bei den Prozessqualitäten, die Planungs- und Koordinierungsmechanismen unter gemeinsamer Beteilung staatlicher und nicht-staatlicher Akteure erfüllen müssen.
Insbesondere ist hier bemerkenswert, dass die Tagungsteilnehmer über das Für und Wider struk-tureller Innovationen hinaus Anforderungen definiert haben, denen integrierte Planungsprozesse genügen müssen. Schlüsselaspekte, die sich aus dieser Diskussion ergaben sind die Strategiefä-higkeit des Planungsgremiums, die politische Sichtbarkeit des Abstimmungsprozesses (ggf. des-sen Politisierung), die Einbeziehung ziviler Akteure auf Augenhöhe und die gemeinsame Ver-ständigung über die Ziele und Strategien. Die Ausgestaltung dieses Prozesses auf staatlicher und nicht-staatlicher Seite wird die Akademie im kommenden Jahr weiter begleiten.

Anforderungen an gemeinsame Planungs- und Koordinierungsmechanismen

Kritik am Zugang der vernetzten Sicherheit rührt seitens ziviler Akteure primär daher, dass er von vielen in erster Linie als Durchsetzungsstrategie staatlich-definierter Interessen gesehen wird. In Kombination mit militärisch-dominierten Einsatzkonzepten erscheinen dann zivile Komponenten vernetzter Sicherheitsstrategien als Inanspruchnahme ziviler Fähigkeiten durch das Militär. Für Nichtregierungsorganisationen (NROs) aus den Bereichen humanitäre Hilfe und Entwicklungshil-fe stellt so verstandene vernetzte Sicherheit eine nur schwer annehmbare Grundlage für die Zu-sammenarbeit in Krisengebieten dar. Der Ausweg aus dieser Situation führt über eine prinzipielle Verständigung über die Ziele und Strategien vernetzter Sicherheit (s.u.) und die Verzahnung mit nicht-staatlicher Akteure nicht nur in der Umsetzung, sondern auch in der politisch-strategischen Planung.
In den Tagungsdiskussionen wurde klar, dass dafür die Einbeziehung ziviler Akteure auf Augen-höhe erforderlich ist; das bedeutet die gemeinsame Determinierung von Zweck, Ziel und Strate-gie. Hierfür fehlen in Deutschland bislang etablierte Prozesse, die die gemeinsame Planung sei-tens staatlicher und nicht-staatlicher Akteure möglich machen. Aufgrund der Erfahrungen mit den Defiziten im deutschen Abstimmungsprozess der deutschen Fachressorts und erfolgreiche-ren Modellen in Österreich, England und Dänemark identifizierten die Tagungsteilnehmer eine Reihe von Prozessqualitäten und Handlungsoptionen, die die strategische Planung innerhalb der Bundesregierung verbessern könnte und zudem die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure an der Strategiebildung ermöglichen könnte.

Strategie

So offensichtlich das Bedürfnis nach synchronisierter Zusammenarbeit ist, so ambitioniert ist auch die Realisierung dieses Anspruchs. Wie mehrere Referenten unterstrichen, möchte jeder beteiligte Akteur gern koordinieren, lässt sich selbst aber nur ungern koordinieren. Aus strategi-scher Perspektive ist eine solche Koordinierung unabdingbar und die Entwicklung integrierter Strategien erfordert zugleich verlässliche Absprachen der beteiligten Akteure.
In seinem Vortrag über die dänischen Erfahrungen war für Dr. Finn Stepputat vom Danish Insti-tute for International Studies die mangelnde Strategiefähigkeit des Ausschusses für konzertierte Planung und Aktion (CPA - Concerted Planning and Action) ein großes Manko des dortigen in-stitutionellen Gefüges von 2004 bis 2010. Der interministerielle CPA Ausschuss war auf Arbeits-ebene aufgestellt und konnte so Diskussionen zur Abstimmung der beteiligten Ressorts ermögli-chen, ihm fehlten aber das Gewicht und die Ressourcen, um Strategie entwickeln zu können. Durch die Besetzung auf Arbeitsebene mangelte es dem Ausschuss an Entscheidungsbefugnis-sen. Zudem waren die Referenten der beteiligten Ministerien nur mit einem Teil ihrer Arbeitszeit für die Ausschussarbeit abgestellt worden. Folglich war die Arbeit im Ausschuss äußerst lang-sam, was wiederum dazu führte, dass das Militär Druck auf das Außenministerium ausübte, den Ausschuss in der Strategieentwicklung zur Wahrung angemessenen Planungsfortschritts zu um-gehen. Als Konsequenz wurden die Koordinierungsinstitutionen in 2010 abermals umorganisiert und politisch aufgewertet.
In den ersten vier Jahren nach 2004 fiel es der britischen Stabilisation Unit auch schwer sich zu etablieren, wie Daniel Korski vom European Council on Foreign Relations feststellte. Dennoch gilt die heute auf 80 Mitarbeiter (von vier in 2004) angewachsene Einheit als der Marktführer im Bereich koordinierter Planung. Ausschlaggebend für diesen Erfolg war die Übertragung einer großen wichtigen Aufgabe, an der das Stabilisation Unit beweisen konnte, was es in der Pla-nung leisten kann. Durch seine Angliederung an das Büro des Premierministers genießt die Ein-heit eine starke und zentrale Verankerung im regierungsinternen Abstimmungsprozess. Inzwi-schen kann die Stabilisierungseinheit auch neue Aufgaben, wie Ressort-übergreifende Ein-satzevaluierungen in den eigenen Zuständigkeitsbereich ziehen.
In ihren Analysen der deutschen Praxis stellten der ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für zivile Krisenprävention Friedrich Däuble und Oberst a.D. Roland Kaestner vom Institut für Strategische Zukunftsanalyse der Carl Friedrich von Weizsäcker-Gesellschaft ähnliche Problem-punkte fest. Die Besetzung des Ressortkreises zivile Krisenprävention auf Arbeitsebene zusam-men mit seinen monatlichen Sitzungen ermöglichen zwar klassische interministerielle Abstim-mung von Vorlagen und Papieren, stehen aber einer effektiven und koordinierten Strategieent-wicklung im Wege. Für Kaestner stehen hier überbrachte Organisationsformen aktuellen Heraus-forderungen im Weg. So sind auch die kürzlich entwickelten Regionalkonzepte (Afrika und La-teinamerika) von den gleichen Defiziten geplagt, wie sie Korski den Strategien aus der Anfangs-zeit der britischen Stabilisierungseinheit attestiert: schlechtes Patchwork der Einzelinteressen der beteiligten Häuser. Kaestner zu Folge sind Netzwerke für gemeinsame Koordination erforderlich, die es ermöglichen, Querschnittsaufgaben zu realisieren und Wissen einzuspielen.
Aus diesen Erfahrungen lässt sich noch nicht direkt ableiten, wie ein effektiver Koordinierungs-mechanismus organisiert sein muss; es ist aber klar, dass die Gremien in einer Weise besetzt sein müssen, dass sie Entscheidungen treffen können, und über ausreichende Ressourcen verfügen müssen, um effektive Planungsprozesse ermöglichen zu können.

Politisierung

Wenn die primäre Herausforderung für Strategiefähigkeit die Entscheidungsbefugnisse des Pla-nungs- und Koordinierungsgremiums ist, stellt sich die Frage, wie dem Gremium eine entspre-chende Stellung im Institutionengefüge verliehen werden kann. Erfahrungen aus Großbritannien und Dänemark, als auch die Ansichten deutscher Akteure und Experten zeigen klar auf, dass diese Aufwertung durch die Politisierung des Abstimmungsprozesses erreicht werden kann. Da-für stehen eine Reihe unterschiedlicher Strategien zur Verfügung.
In Ausnahmefällen erfolgt die Politisierung situationsbedingt von selbst. Für Obert i.G. Rainer Meyer zum Felde, der den Fachbereich Sicherheitspolitik und Strategie an der Führungsakademie der Bundeswehr leitet, war der politische Druck auf alle Ressorts aufgrund der Bürgerkriegs-flüchtlinge dafür ausschlaggebend, dass die deutsche Bosnienpolitik auf guter Zusammenarbeit, inklusiver interministerieller Lagebeurteilung, aufbauen konnte. Die Bereitschaft zur Zusammen-arbeit auf Arbeitsebene konnte aber nur dadurch zustande kommen, dass auch die innenpoliti-schen Ressorts hohem Handlungsdruck ausgesetzt waren.
Für die allermeisten Krisensituationen kann eine Politisierung des Koordinierungsprozesses aus der Situation heraus nicht erwartet werden und müsste daher durch die Anlage des Abstim-mungsmechanismus erzeugt werden. In Großbritannien hat das Parlament einen Nationalen Sicherheitsrat (National Security Council) eingefordert, der durch wöchentliche Treffen der betei-ligten Minister unter Vorsitz des Premierministers für stetigen Antrieb zur Zusammenarbeit und Abstimmung unter den Ressorts sorgt, wie Korski berichtete.
Die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates nach amerikanischem Vorbild oder die Aufwer-tung des Bundessicherheitsrates zu einer zentralen Koordinierungseinheit beim Bundeskanzler-amt würde Däuble zufolge in Deutschland, schon aufgrund der Praxis Koalitionsregierungen zu bilden, nicht funktionieren. Als Alternative schlägt er eine Aufwertung der interministeriellen Koordinierung vor. Mit der expliziten Übertragung der Krisenprävention an einen Staatsminister im Auswärtigen Amt könnte die Koordinierung der Ressorts eine neue politische Qualität erhal-ten. Dabei wäre auch eine Verzahnung von Außen- und Entwicklungspolitik auf dieser politi-schen Ebene ein Denkmodell („Doppelhut“). In einer Scharnierfunktion könnte der Staatsminis-ter sowohl Koordinierung auf Leitungsebene herstellen, als auch – dank seiner „Libero“ Position mit Anbindung an beide Ressorts – Abstimmungsprobleme aufzeigen und neue Initiativen in die Ressorts tragen.
Däuble und der FDP-Bundestagsabgeordnete Joachim Spatz merkten an, dass die Einrichtung des Unterausschusses für zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit (dessen Vorsitzender Spatz ist) bereits einen ersten wichtigen Schritt hin zur Politisierung der Krisenprävention    ge-leistet habe. Spatz berichtete, dass der Ausschuss eine Hälfte seiner Zeit für strategische und strukturelle Entwicklungen nutze und dass die Ausschussarbeit schon jetzt Einfluss auf die Politik in Deutschland und in der Europäischen Union habe. Aufgabe des Ausschusses sei es, die Regie-rung vor sich her zu treiben.
Eher verhaltene Politisierung lässt Stepputat zweifeln, ob die neuen dänischen Institutionen stra-tegiefähiger sein werden, als der alte CPA Ausschuss. Zwar wurde die Koordinierung durch die Etablierung eines interministeriellen Sekretariats und eine Steuerungsgruppe aufgewertet, aber das Sekretariat wurde innerhalb des Außenministeriums angesiedelt und die beteiligten Minister treffen sich lediglich jährlich.

Finanzen

Neben politischer Sichtbarkeit ist die Verknüpfung von Koordination mit Finanzmitteln eine wei-tere viel versprechende Strategie, um für die koordinierte Wahrnehmung von Krisenprävention als Querschnittsaufgabe zu sorgen.
Neben dem Stabilisation Unit sind die Conflict Prevention Pools die zweite große Innovation bei den britischen Institutionen für Krisenprävention. Hier stehen zusätzliche Finanzmittel bereit, die nur von mehreren beteiligten Ressorts zusammen für gemeinsame Projekte und Initiativen abge-rufen werden können. Koordination und Kooperation werden so zu Zugangsbedingungen für zusätzliches Geld. Korski gab aber auch zu bedenken, dass dieser Anreiz zu Allianzen führen könne, die nur des frischen Geldes wegen gebildet würden. Nichtsdestotrotz würde auch das eine Kultur der Kooperation unterstützen.
In Dänemark wurde ein Joint Global Framework Fund mit EUR 20 Millionen pro Jahr eingerich-tet, der ebenso für Ressort-übergreifende Initiativen zur Verfügung steht. Über die Vergabe die-ser Mittel entscheidet eine Lenkungsgruppe, die wiederum interministeriell zusammengesetzt ist. Stepputat stellte fest, dass das Vorhandensein von zusätzlichem Geld allein nicht ausreiche; wichtig sei die Lenkungsgruppe, um ein Verständnis über gemeinsame Ziele und Strategien zum Einsatz der Mittel zu ermöglichen.
Däuble berichtete von den „Nachtwei-Millionen“, die dem Ressortkreis Zivile Krisenprävention nach 2005 zur Verfügung standen. Mit Hilfe dieser Mittel konnte der Ressortkreis, der sonst über keine eigenen Mittel verfügt, neue Schwerpunkte im Bereich ziviler Krisenprävention setzen und dadurch echte Kooperation unter seinen Mitgliedern auslösen. Er schließt daraus den Be-darf, die Mittel für Krisenprävention in Zukunft zu bündeln. Das erfordere zwar einen Kultur-wandel in den beteiligten Ressorts, würde aber einen Anreiz für bessere und tiefere Koordinie-rung in Zukunft erzeugen. In der Diskussion wurde deutlich, dass dieses Instrument nicht einfach umzusetzen ist, da Finanzen in den Haushaltsplänen einzelnen Ministerien zugeordnet sind. Eine Zusammenlegung ihrer Mittel für zivile Krisenprävention würde also schon eine recht weitge-hende Bereitschaft zur Kooperation voraus setzen.
Zusätzliche Haushaltsmittel scheinen ein probates Mittel zu sein, um eine Kultur der Kooperation zu fördern. Allerdings kommt es darauf an, da es sich um frisches Geld handelt und die Mittel-vergabe so organisiert ist, dass nicht nur die zu unterstützenden Projekte, sondern auch die Vergabeentscheidungen kooperative Verständigung erfordern.

Einbeziehung der Zivilgesellschaft auf Augenhöhe

Die bisherigen Ausführung betreffen lediglich die Koordination und Kooperation unter den mit vernetzter Sicherheit befassten Ministerien (Whole of Government Approach), aber noch nicht die Einbeziehung nicht-staatlicher Akteure in die strategische Planung. Für wirklich integrierte Planung im Sinne des Comprehensive Approach ist beides nötig: gute Zusammenarbeit inner-halb der Regierung und die Einbeziehung weiterer ziviler Akteure aus Staat und Zivilgesellschaft.
Zum Einsatz ziviler Akteure in der Umsetzung gibt es vielfältige Erfahrungen. So bildet das deut-sche Zentrum für Internationale Friedenseinsätze Personal für Krisenprävention aus und die Or-ganisationen im Konsortium Ziviler Friedensdienst entsenden Friedensfachkräfte in die unter-schiedlichsten Krisenregionen. Ähnliche Ansätze gibt es auch in Dänemark und Großbritannien. Allerdings ginge der britische Expertenpool (Civilian Stabilisation Support Group) darüber hinaus, wie Korski berichtete. Hier bemühe sich das Stabilisation Unit auch um die Rekrutierung von Experten für die eigene Planungsarbeit und bilde sie zur Mitarbeit in staatlichen Strukturen wei-ter. Das würde die Unity of Purpose zu Hause und in der Zielregion unterstützen.
Aus der österreichischen Praxis berichtete Markus Gauster, der im Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Wiener Landesverteidigungsakademie tätig ist, dass es wichtig sei, Nichtregierungsorganisationen nicht nur an der Umsetzung, sondern auch an der Zielsetzung von Krisenbewältigungsstrategien zu beteiligen. So könnte staatliche Strategieentwicklung die Erfahrungswerte von NROs nutzen. Diese verfügten über viel Expertise, die momentan brach läge. So verständen NROs oft mehr von den Akteuren vor Ort als staatliche Stellen. Wichtig sei hier eine klare Aufgabenstellung und Arbeitsteilung, die die Rolle des Militärs abgrenzt und si-cherstellt, dass NROs trotz der Zusammenarbeit mit staatlichen Akteuren ihre Neutralität wahren können.
Der Programm Manager Afghanistan der Deutschen Welthungerhilfe Timo Christians unterstrich diese Einschätzung zivilgesellschaftlicher Kompetenzen. NROs verfügten über detaillierte Kennt-nisse von Zielländern, Konflikte, Kontexten und örtlichen Handlungslogiken, die über langjährige Erfahrungen und intensiven Austausch angesammelt seien. Zudem läge der Mehrwert internati-onaler Zivilgesellschaft in ihrem Zugang zur Zivilgesellschaft in den Zielländern. NROs könnten so als Transmissionsriemen zu den Akteuren vor Ort wirken.
Die NATO habe das Potenzial zivilgesellschaftlicher Akteure bereits mit ihrem Enhanced CIMIC Konzept in den Jahren 2003/4 erkannt, so Meyer zum Felde. Damals wurde an Prozessen gear-beitet, die es erlaubten, Nicht-NATO-Akteure in die NATO-Planung einzubeziehen. Wichtig wa-ren dabei die Festlegung Roter Linien, Treffen auf neutralem Grund, die Ausarbeitung gemein-samer Kommunikationsstandards und das Zusammenkommen auf gleicher Augenhöhe. Ge-scheitert sei die Initiative letztlich nicht an der Natur der Zusammenarbeit, sondern an der In-strumentalisierung der Thematik im Widerstreit von Griechenland und der Türkei über Zypern. Seitens der NROs hätte es keine Probleme gegeben; die NATO habe sich aber mit dem Umgang mit sicherheitsrelevanten Informationen und zivilen Akteuren schwer getan. Nichtsdestotrotz würde auch in der NATO an integrierten Planungsprozessen weiter gearbeitet. Für Afghanistan wurde dann auch erst 2006 ein Politico-Military-Plan erstellt, obwohl die Afghanistan-Strategie früher umfassend zivil-militärisch und regional hätte geplant werden müssen. Aus wichtigen und kooperativen Dialogen mit NROs, u.a. Save the Children und dem Internationalem Komitee des Roten Kreuz hätten sich Zugänge für die gemeinsame Planung als Grundlage für konkrete Pla-nungen ergeben, die in der Comprehensive Political Guidance zusammengefasst seien. Die gro-ße Relevanz, die die NATO der integrierten Planung zumisst, ließe sich auch daran ablesen, dass Ausführungen zum Partnering der längste Teil der neuen NATO Strategie seien.
Christians fragte aber auch, ob NROs mit staatlichen Akteuren zusammenarbeiten könnten und wollten? Grundsätzlich stehe man der Vernetzung skeptisch gegenüber. Auf welcher Basis solle man sich vernetzen? Was bedeuteten Ansätze, die man nicht mit entwickelt habe? Für NROs sei es wichtig, den eigenen Prinzipien treu zu bleiben (s.u.), und es fiele ihnen schwer, Informatio-nen weiter zu geben, wenn sie nicht in Entscheidungen mit einbezogen würden. Schließlich könnte sonst aus einer solchen Weitergabe eine Mithaftung für die Entscheidungen anderer erwachsen. Zudem würde die Beteiligung an der Planung auch eine Verpflichtung zur Umset-zung bedeuten.
Für NROs ist also die Einbeziehung auf Augenhöhe wichtig, die echte Kooperation statt der Ver-einnahmung ihrer Fähigkeiten sicherstellt. Christians signalisierte Bereitschaft zur Diskussion, vermerkte aber den Mangel von organisiertem Austausch. So gäbe es viele Ad-hoc-Diskussionen, aber es fehle ein organisierter Diskurs, wie er im 3C-Prozess in der Schweiz und Österreich stattgefunden habe. Ziel müsse dabei die Verbesserung unseres Handels sein.
Däuble zu Folge ist der Ressortkreis dafür das falsche Gremium, da die dort praktizierte inter-ministerielle Abstimmung untauglich zur Einbeziehung ziviler Akteure sei. Vielmehr könnte der Beirat Zivile Krisenprävention zu einem echten Konsultationsgremium ausgebaut werden und so die Zusammenarbeit über den gemeinsamen Informationsaustausch ausgebaut werden. Erfor-derlich sei aber zudem die bessere Organisation der Zivilgesellschaft als Gegenüber zum Staat. Dazu könne der Ausbau des Beirates hilfreich sein, aber zudem wäre eine organisierte Schnitt-stelle hilfreich, die die Zusammenarbeit im Sinne einer Arbeitseinheit unterstützt. Das könnte eine Aufgabe für das Zivik Programm des Instituts für Auslandsbeziehungen werden.
Die Vorsitzende des Bundes für soziale Verteidigung Ute Finckh-Krämer gab zu bedenken, dass neben der Organisation der Schnittstellen zwischen Staat und Zivilgesellschaft auch Kapazitäten im zivilen Bereich geschaffen werden müssten. Zivile und militärische Akteure verfügten über sehr unterschiedliche Ressourcen. Zur Beteiligung am strategischen Prozess müssten zivile Akteu-re also gestärkt werden. Aber hier stelle sich auch die Frage, wer gefördert werden müsse. Zu-nächst sei es daher erforderlich, dass sich die relevanten Akteure besser kennen lernten, um einen besseren Überblick über die Verteilung von Fähigkeiten zu erlangen. Dieses Inventar müsse dann abgeglichen werden mit den Fähigkeiten, die man vorhalten müsse. Da Krisenprävention wie Feuerwehr vorgehalten werden müsse, auch wenn man sie nicht bräuchte, stelle sich außer-dem die Frage, was mit diesen zivilen Ressourcen außerhalb des Bedarfsfalls zu machen sei.
In der Debatte um die Einbeziehung nicht-staatlicher Akteure waren die Handlungsempfehlun-gen weniger konkret als bei der Diskussion um die Verbesserung staatlicher Koordinierung und Kooperation. Das ist ein offensichtliches Indiz dafür, dass der Diskurs bei der Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die politisch-strategische Planung gerade erst ankommt. Nichtsdestotrotz sind Eckpunkte eines Erfolg versprechenden Prozesses jetzt schon klar. Ehrhart fasste sie so zusam-men: ein transparenter und offener Planungs- und Koordinierungsprozess, Rekrutierung von Fachpersonal, Berücksichtigung der Akteure in den Zielländern, Achtung der Prinzipien der an-deren Seite und Beachtung unterschiedlicher Handlungslogiken (s.u.).

Vernetzte Sicherheit

Dr. Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden attestierte dem Begriff der vernetz-ten Sicherheit eine politische Genialität: Mangels anerkannter Definition könne jeder das hinein projizieren, was ihm lieb und wichtig sei. Dadurch sei der Begriff gut für oberflächlichen Kon-sens, aber gefährlich für vernetzte Planung. Dem können man nur durch eine gemeinsame Ziel-setzung, also einer Strategie im Sinne Clausewitz entgegentreten.
Eine solche gemeinsame Zielsetzunge erfordert für Ehrhart die prinzipielle Übereinkunft über ein gemeinsames Verständnis, komplementäre Wirkungen der Aktivitäten unterschiedlicher Akteure und damit einem Unity of Effort als Kernprinzip des Comprehensive Approach. Diese prinzipielle Übereinkunft ist ein formidabler Stolperstein, da sie eine Verständigung über sehr unterschiedli-che Rollen, Selbstverständnisse und Handlungslogiken hinweg erfordert. Die beteiligten Akteure müssen nicht nur die sehr unterschiedlichen Herangehensweisen anderer akzeptieren, sondern sich möglicherweise auch auf Strategien einlassen, die ihrer eigenen Handlungskultur nicht im-mer entsprechen. Die Kunst wird darin liegen, solche Zugänge zu finden, die die Zugeständnisse aller Akteure in einem tragbaren Rahmen halten.
Der britische Soziologe Robert E. Goodin hat herausgearbeitet, was die Zivilgesellschaft von Staat und Wirtschaft unterscheidet. In seinem Artikel  stellt er fest, dass zivilgesellschaftliche Akteure Aufgaben übernehmen können, denen Staat und Wirtschaft nicht gewachsen sind, gerade weil sich ihre Organisation und ihre Motivation grundlegend von den anderen beiden Akteursgruppen unterscheidet. Diese Unterschiede können eine Stärke sein, aber gleichzeitig auch akteursübergreifender Zusammenarbeit im Wege stehen, wenn diese Unterschiede nicht respektiert werden und mit ihnen nicht bewusst umgegangen wird.
Insbesondere unterscheiden sich die Legitimitätsprinzipien, auf denen staatliches und zivilgesell-schaftliches Handeln begründet ist: Staatliches Handeln ist dann legitim, wenn es Recht und Gesetz entspricht; zivilgesellschaftliches Handeln ist dann legitim, wenn die Absichten, die da-hinter stehen, richtig sind. Eng verbunden damit ist der Bezugsrahmen, innerhalb dessen diese Legitimität bewertet wird. Für staatliche Akteure ist es die Hierarchie, in der eine Ebene die Rechtmäßigkeit der Handlungen der untergeordneten Ebene beurteilt. Für zivilgesellschaftliche Akteure ist es das Netzwerk gleich gesinnter Organisationen, die beurteilen, ob der Antrieb zu einer Handlung den Werten, Normen und Prinzipien des Netzwerks entspricht.
Überspitzt formuliert ist für staatliche Akteure die Absicht ihres Handelns irrelevant und für zivil-gesellschaftliche Akteure die Legalität ihrer Agierens. Konstruktiver formuliert müssen sich in akteursgruppenübergreifenden Koalitionen auch staatliche Akteure auf eine Diskussion über die zugrunde liegenden Absichten einer Strategie einlassen und zivilgesellschaftliche Akteure müs-sen bereit sein, sich auf Verwaltungsabläufe einzulassen, die die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns absichern.
Daraus abgeleitet ergeben sich Widersprüche zwischen der Zweckrationalität staatlicher Akteure und Mittelrationalität zivilgesellschaftlicher Akteure sowie unterschiedliche Handlungskulturen. Diese Unterschiede müssen ernst genommen werden und mit ihnen muss bewusst umgegangen werden; dann können sie im Zusammenwirken vom Hindernis zur Stärke werden.
Diese grundlegenden Unterschiede im Selbstverständnis liegen auch den divergierenden Inter-pretationen und Bewertungen vernetzter Sicherheit zu Grunde. Für NROs ist es von zentraler Bedeutung, die Ziele und Absichten zu klären, die mit vernetzter Sicherheit umgesetzt werden sollen, während staatliche Akteure sich bisher primär mit Umsetzungsstrategien beschäftigt ha-ben. Däuble attestierte, dass vernetzte Sicherheit bisher aus militärischem Blickwinkel gedacht wurde. Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft macht es aber erforderlich, auch über die zugrunde liegenden Sicherheitskonzepte zu sprechen. Der stellvertretende Vorsitzende des Ver-bands Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen Jürgen Lieser brachte es auf den Punkt, als er fragte, wo das gemeinsame Ziel gegeben sei, das in gemeinsamer Verantwor-tung erreicht werden solle.
Gauster beschrieb die österreichische Erfahrung so, dass die 3C Diskussionen zur Etablierung von Human Security als dem zentralen Sicherheitskonzept für Österreich geführt hätten. Damit orientiert sich jetzt auch die staatliche Politik an einem Sicherheitsbegriff, der für NROs aus dem Bereich humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe prinzipiell konsensfähig sei, wie Christians später ausführte.
In Deutschland hat ein solcher Diskussionsprozess auch nach dem Weißbuch von 2006 und der Friedensdenkschrift von 2007 noch nicht stattgefunden. So fragten sich Christians und Lieser zu folge die deutschen NROs, was das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit unter vernetzter Sicherheit verstehe, deren Anerkennung Vorbedingung für Mittelzuweisungen aus der Afghanistan-Fazilität sei. Das Ministerium sei noch nicht in der Lage gewesen, die eigene Konzeption vernetzter Sicherheit zu definieren.
Fazit
Über Vernetzte Sicherheit wird in Staat und Zivilgesellschaft viel und konstruktiv nachgedacht. Es besteht weitgehende Einigkeit, dass die Politisierung der Koordinierungsmechanismen helfen kann, zivile Krisenprävention aufzuwerten. Dazu könnte die Ernennung eines Staatsministers für zivile Krisenprävention dienen..
Bei der Umsetzung Vernetzter Sicherheit besteht sowohl im engeren (Whole of Government) wie auch im weiteren Sinne (Whole of System) noch akuter Klärungsbedarf, der im breiten ge-sellschaftlichen Dialog als Grundlage für das neue Weißbuch bedient werden sollte. Neben der Organisation effektiver Koordination und Kooperation innerhalb der Regierung betrifft das auch die Organisation der Schnittstellen zwischen Staat und Zivilgesellschaft sowie die verbindliche Definition des Begriffs „Vernetzte Sicherheit“ und die Verständigung über den zugrunde liegen-den Sicherheitsbegriff. Die Evangelische Akademie Loccum wird diesen Diskurs weiter unterstüt-zen.