Erneut Konflikt um Frauenrechte an der Klagemauer

"Women of the Wall" beim Betreten des Frauenbereichs gehindert - Zwei Personen wurden festgenommen

Jerusalem, 8. Juli 2013- Beim traditionellen Gebet zum jüdischen Monatsbeginn ist es Montagfrüh an der Jerusalemer Klagemauer erneut zu Protesten strengreligiöser Juden gegen reformjüdische Beterinnen gekommen. Rund 5.000 strengreligiöse Frauen und etwa 1.000 ultraorthodoxe Männer hinderten rund 200 Aktivistinnen der Frauenbewegung "Women of the Wall" (zu deutsch: Frauen der Klagemauer) am Betreten des Frauenbereichs. Hintergrund ist der Streit um die Rechte von Frauen und Reformjuden an der Klagemauer.

Waren Sie schon einmal an der Klagemauer in Jerusalem?

Es ist einer dieser Ort, die das Heilige, das Spirituelle direkt ausstrahlen. Ich konnte mich dieser uralten Mauer nur sehr ergriffen nähern. Das lag bestimmt nicht nur an den Haredim, den Ultra-Orthodoxen, den altertümlich gekleideten Männern mit ihren Hüten und Bärten und Gebetslocken. Die beherrschten das Bild – neben den allgegenwärtigen Touristen aus aller Welt – in dem Teil für Männer, zu dem ich Zutritt hatte.

 

Diese Mauer mit ihren riesigen Steinquadern – der größte ist 13,6 Meter lang, 3,5–4,5 Meter tief und 3,5 Meter hoch – so groß wie ein Bus; der schwerste wiegt 570 Tonnen – ist ein imposantes Bauwerk; aber mehr als das: sie strahlt etwas aus. Irgendwie ein besonderer Platz.

Diesen Eindruck kennen Sie bestimmt auch aus der einen oder anderen Kirche: man schaut sich um und ist ergriffen. Irgendetwas wirkt in diesen Räumen. Vielleicht ein Zeichen guter Sakral-Architektur, wie in Michaelis in Hildesheim. Aber: was wir Klagemauer nennen, ist nichts anderes als die westliche Stützmauer des Jerusalemer Tempelberges, die Herodes anlegen ließ, um den Tempelbereich zu erweitern. Mit ihren riesigen Steinen ein tolles Zeugnis damaliger Baulogistik, aber ganz bestimmt kein Raum, dessen Gestaltung übersinnliche Assoziationen weckt.

Räume entwickeln ihre Wirkung natürlich auch durch die Menschen darin. Das Weihnachtsgefühl in der Kirche kommt zustande durch die Menschen, die sich am Heiligen Abend in diesen Bänken drängen und natürlich durch die Kinder, die dem entgegen fiebern.

Aber das vermochten die Menschen an der Klagemauer für mich nicht leisten. Zu viele Touristen, wie ich; zu viele, die durch Betteln oder Unterstützung im Gebet etwas verdienen wollten. Natürlich waren da auch die Gruppen von ummantelten und behüteten Männern mit Bärten, die sich vor und zurück wiegend intensiv gemeinsam lasen und beteten. Beeindruckend und trotzdem irgendwie fern.

Dennoch: die Wand strahlt etwas Ergreifendes, wohl etwas Heiliges aus. Für Juden ist sie heute so etwas wie ein Ersatzheiligtum. Das eigentliche Heiligtum war natürlich die Bundeslade und der Tempel, in dem sie aufbewahrt wurde. Seit der Zerstörung des Tempels fehlt beides. Von dem, was übrig geblieben ist, war die Westmauer dem Tempel am nächsten. Also ist sie heute der höchste Ort für jüdische Gebete.

Wer dort wie beten darf, ist ein Politikum. Geregelt haben das bisher ultra-orthodoxe Rabbiner, aber jetzt mischen auch die Gerichte mit. Wenn man über den Platz vor Wand kommt, wird aufgeteilt: links die Männer, rechts die Frauen. Soweit so gut.

Aber Unterschiede gibt es auch, wie gebetet werden darf: die Männer können sich eine von 100 Torah-Rollen ausleihen, in Gruppen daraus laut lesen und Gebetsschals tragen. Frauen hingegen dürfen nur die Psalmen rezitieren. Seit 25 Jahren gibt es die Reformbewegung Frauen der Klagemauer, die dort genauso wie die Männer beten wollen. Immer wieder kam es in der letzten Zeit bei Gebeten zum Monatsbeginn zu Auseinandersetzung zwischen den Frauen und Ultra-Orthodoxen Haredim, die sich selbst die Gottesfürchtigen nennen.

Inzwischen hat ein Gericht erklärt, dass die Frauen das Recht haben an der Mauer zu beten. Doch die Umsetzung macht weiter Probleme: im Juli wurden sie dadurch heraus gedrängt, dass 5000 streng gläubige Frauen den Platz zum Überlaufen besetzt hatten.

Die Lösung soll eine Erweiterung des Platzes vor der Klagemauer bringen – doch das kostet mehrere Millionen und kann bis zu 10 Jahren dauern.

„Die Frau sagte zu ihm: Herr, ich sehe, du bist ein Prophet. Unsere Väter haben auf diesem Berg gebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei der Ort, wo man beten soll. Jesus sagt zu ihr: Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, da ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem zum Vater beten werdet. Ihr betet zu dem, was ihr nicht kennt; wir beten zu dem, was wir kennen – denn das Heil kommt von den Juden.

Aber die Stunde kommt, und sie ist jetzt da, in der die wahren Beter in Geist und Wahrheit zum Vater beten werden, denn auch der Vater sucht solche, die auf diese Weise zu ihm beten. Gott ist Geist, und die zu ihm beten, müssen in Geist und Wahrheit beten.

Die Frau sagt zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, den man den Gesalbten nennt; wenn jener kommt, wird er uns alles kundtun.

Jesus sagt zu ihr: Ich bin es, ich, der mit dir spricht.“

Soweit unser Predigttext für heute aus dem Johannes-Evangelium, Kapitel 4.

Jesus im Gespräch mit einer Frau. Dann auch noch einer aus dem Teil des Stammes Israel, das Jerusalem nicht respektiert; das statt des Aufbewahrungsortes der Bundeslade den Berg Garizim, auf dem Abraham seinen Sohn Isaak opfern sollte, für das höchste Heiligtum hält. Nicht nur das, im Gespräch mit einer, die einen sehr zweifelhaften Lebenslauf hat: Nach 5 Männern nun in einer Beziehung ohne Trauschein.

Der Gipfel: ein theologisches Gespräch, wie es sonst nur Religionsgelehrte führen, an dem Brunnen, den Jakob höchst selbst angelegt hat. Ein Verhalten, das nach ultra-orthodoxen Verständnis auch heute 2000 Jahre später für einen Rabbi wie Jesus völlig unangemessen wäre. Verstoß gegen alle möglichen Konventionen und dann auch noch neben Johannes dem Täufer die einzige Stelle, an der er sich klar als der Gesalbte zu erkennen gibt.

Nun könnten wir es uns einfach machen: Ja, da Ultra-Orthodoxen sind halt hinter ihrer Zeit zurück und sollten sich mal etwas entspannen. Aber das ist zu einfach. Und vor allem falsch.

Denn seine Worte richten sich an die Glaubenspraxis im jüdischen Kontext. Und dorthin ist auch seine Aufforderung addressiert: „Gott ist Geist, und die zu ihm beten, müssen in Geist und Wahrheit beten.“ Damit geht es um eine Auseinandersetzung, was ein gutes und richtiges Gebet ausmacht. Und so muss man auch die heutige Auseinandersetzung um die Gebetspraxis an der Westmauer verstehen: eine produktive, kontroverse Auseinandersetzung zur Weiterentwicklung religiöser Praxis.

Oder wir könnten in eine lang gebräuchliche, aber problematische Sichtweise zurückfallen und argumentieren, dass wir Christen durch den Auferstandenen alles besser verstehen würden als die zurück gebliebenen Juden.

Doch da müssen wir uns erst einmal an unsere eigene Nase packen: Margot Käßmann war Landesbischöfin und durfte als Frau trotzdem nicht Mitglied im Konvent des Klosters Loccum werden. Erst durch ein Machtwort des neuen Bischofs Meister kommt nun 2000 Jahre nach dem Gespräch am Brunnen und 500 Jahre nach der Reformation wenigstens eine Frau in den Loccumer Konvent. Auf die Loccumer Kanzel hat der Abt und ehemalige Bischof Hirschler immer noch keine Frau gelassen. Ebenso in Braunschweig. Direkt hinter dem Predigerseminar, in dem natürlich auch Pastorinnen ausgebildet werden, liegt die Kirche Brüdern. Auf dieser Kanzel dürfen Vikarinnen noch nicht einmal üben.

Nun könnten wir mit den Schultern zucken; Kirche ist halt immer etwas langsamer. Aber was ist mit unserem Alltag? Wo sind die Frauen in Aufsichtsräten? Wie steht es mit der gleichen Bezahlung für gleiche Arbeit?

Jesus hat Geschlechtergerechtigkeit vorgelebt. Gleichberechtigung im Innersten der Strukturen, die die Gesellschaft organisieren. Das einzufordern, ist einfach. Es umzusetzen und zu leben, bedeutend schwieriger. Dafür gilt es, produktiv zu streiten. Dazu gehört es, auf Missstände hinzuweisen, wie es die Frauen der Klagemauer tun. Aber dazu gehört es auch, ein offenes Ohr für Bedenken  zu haben. Amen.