Es ist Krieg! Entrüstet Euch!

 „Es ist Krieg! Entrüstet Euch!“ Das ist der Slogan der diesjährigen Friedensdekade. Schon zum 30. Mal regt die ökumenische Friedensdekade in diesem Jahr zum Nachdenken über Krieg und Frieden an.

„Es ist Krieg! Entrüstet Euch!“ – das klingt gut. Ein interessantes Wortspiel.

Entrüsten: wir sollen unseren Unmut äußern, wir sollen unser Missverständnis mit Krieg bekunden. Das fällt uns Deutschen nicht schwer. Wenn wir eins aus dem 2. Weltkrieg gelernt haben, dann ist das: Nie wieder Krieg.

Entrüsten: wir sollen unsere Rüstung abwerfen, wir sollen uns unserer Bewaffnung entledigen. Auch dem können wir nur zustimmen. Wer von uns hat schon Waffen? Wir leben in einer Gesellschaft, in der Waffenbesitz die Ausnahme, aber nicht die Regel ist.

Was bedeutet der Slogan „Es ist Krieg! Entrüstet Euch!“ also für uns? Wir können und sollen uns entrüsten, aber was bringt das? Kann unsere Entrüstung etwa Krieg beendigen oder verhindern?

 Es gibt einen zweiten Spruch, der seit 30 Jahren eng mit der Friedensdekade verbunden ist. Dieses Motto der Dekade haben Sie heute schon in der Lesung aus dem Alten Testament gehört: „Schwerter zu Pflugscharen und Spieße zu Sicheln.“ Genauer steht dort: „viele Heiden werden sagen: Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des HERRN gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln! Er wird unter den großen Völkern richten und viele Heiden zurechtweisen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“

 Jetzt sind wir schon etwas weiter. Um Krieg hinter uns lassen zu können, sollen die Heiden in seinen Pfaden wandeln. Das kennen wir vom Schulhof. Wenn es Streit gibt, sind immer die anderen schuld. Wenn es denn nur an uns läge, gäbe es doch gar keinen Streit. Streit brechen doch immer die anderem vom Zaun. Wenn wir selbst die Auseinandersetzung suchen, dann doch nur, weil uns jemand ungerecht behandelt hat und wir uns jetzt gerechterweise wehren.

Gewalt zwischen den Menschen und Völkern ist schlecht, aber es scheint immer wieder Situationen zu geben, in denen wir uns einfach wehren müssen! In der Philosophie hat dieses Dilemma zur Denktradition des gerechten Krieges geführt. Philosophen und Theologen haben sich überlegt, unter welchen Bedingungen Gewaltanwendung berechtigt und gut ist.

Die Anwendung dieser Philosophie finden wir im heutigen Völkerrecht. Kriege sind grundsätzlich völkerrechtswidrig, aber die Völkergemeinschaft – in Form der Vereinten Nationen – kann Kriege und Interventionen autorisieren, wenn sie angemessen und gerechtfertigt sind. Ganz praktisch sehen wir das daran, dass sich Deutschland nur an Interventionen mit einem Mandat der Vereinten Nationen beteiligt. Das Mandat der Vereinten Nationen stempelt einen Krieg als einen gerechten Krieg ab. Die Genfer Konventionen regeln, wie sich die Konfliktparteien in einem Krieg verhalten sollen. Das alles sollte das Kriegshandwerk humanisieren.

So sind Schwerter immer noch Schwerter und Spieße immer noch Spieße. Sie werden allenfalls ziviler und etwas bedachtsamer eingesetzt. Wir haben gelernt, „gerechte“ Kriege zu führen, aber von Michas Weissagung „Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen“ sind wir immer noch ein gutes Stück weg.

 Weil gerechter Krieg immer noch Krieg und nicht Frieden ist, haben die Kirchen in Deutschland einen Gegenentwurf entwickelt. Angefangen hat damit die katholische Bischofskonferenz, die im Jahr 2000 die Schrift „Gerechter Friede“ veröffentlicht hat. Der Rat der Evangelischen Kirche Deutschland folgte 2007 darauf mit seiner Denkschrift „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen.“ Diese Schriften haben ein grundsätzliches Umdenken eingeleitet. Aus christlicher Sicht kann es nicht mehr darum, wann und wie Krieg akzeptabel ist, sondern es muss vielmehr darum gehen, wie wir zum Frieden kommen. Dabei machen diese Schriften ganz deutlich, das Krieg keine Antwort auf Ungerechtigkeit sein kann; Frieden zugleich aber nicht ohne Gerechtigkeit möglich ist.

Im Evangelium haben wir vorhin gehört „Selig sind, die Frieden stiften.“ Das Konzept des gerechten Friedens sagt uns, wie wir das tun können: wir müssen für Gerechtigkeit sorgen! Damit sind wir in der Beantwortung der Frage, wie wir uns entrüsten sollen, näher gekommen.

 „Es ist Krieg! Entrüstet Euch!“ bedeutet dann nicht nur unsere Entrüstung über Krieg und das Ablegen von Schwertern, Spießen und anderen Waffen, sondern fordert uns auf, uns über Ungerechtigkeit zu entrüsten und uns zugleich unserer eigenen Ungerechtigkeit zu entledigen. Auch dieser Konkretisierung können wir kaum widersprechen. Gegen Ungerechtigkeit – das ist immer gut. Gerecht sein – auch das kann jeder unterstützen.

 Im Predigttext heißt es: „Was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was rein, was liebenswert, was einen guten Ruf hat, sei eine Tugend, sei ein Lob – darauf seid bedacht! Was ihr gelernt und empfangen und gehört und gesehen habt an mir, das tut; so wird der Gott des Friedens mit euch sein.“  Interessanter ist die Umsetzung. Wie machen wir das?

*** Lassen Sie uns darüber nachdenken, während der Chor den Kanon „Schweige und Höre“ singt ***

 Wie sorgen wir selbst für Gerechtigkeit und damit für Frieden? Sie haben sicherlich sehr unterschiedliche Antworten gefunden, wie wir selbst für Gerechtigkeit und damit für Frieden sorgen.

 Ein Beispiel können wir im Schmuck dieser Kirche schon erahnen: Heute Abend gibt es hier ein Benefizkonzert, mit dem Geld für ein Kinderhaus in Tansania gesammelt wird. Andere von Ihnen haben vielleicht für Erdbebenopfer in Haiti oder wegen der Überschwemmung für Pakistan gespendet. Wir assoziieren Weihnachten mit den orangen Spendenbüchsen für Brot für die Welt. In Angesicht von Ungerechtigkeit geben wir Geld, um die Ungerechtigkeit wenigstens ein kleines Stück auszugleichen.

Andere mögen vielleicht denken, dass Spenden immer nur ein kleine Tropfen auf heiße Steine sind. Sie versuchen dann, solche Produkte zu kaufen, die Ungerechtigkeit durch fairen Handel beseitigen. Produkte aus Eine-Welt-Läden, fair gehandelter Kaffee, zertifizierte Bananen, die ihren Anbauern ein anständiges Einkommen und Bildung versprechen – Handel gegen statt durch Ausbeutung.

 All das kann Ungerechtigkeit vermindern und spielt damit eine wichtige Rolle, aber können wir mit Spenden und Eine-Welt-Läden wirklich die Welt retten? „Es ist Krieg! Entrüstet Euch!“ das ist ein universeller Anspruch, der immer und überall gilt, nicht nur in der Weihnachtszeit und damit Spendenzeit und nicht nur beim Einkauf und der Auswahl zwischen fairen und konventionellen Produkten.

Wenn wir die Sorge um Gerechtigkeit ernst nehmen, beginnt unsere Verantwortung im Kleinen. Wie wir von Paulus eben schon gehört haben: „Was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was rein, was liebenswert, was einen guten Ruf hat, sei eine Tugend, sei ein Lob – darauf seid bedacht!“ Wir sollen unser tägliches Leben mit Bedacht gestalten. Damit können wir Ungerechtigkeit im direkten Umgang mit unseren Nächsten vermeiden. Und auch das schafft Frieden. Anders als Krieg kommt Frieden von unten und nicht von oben.

 „Es ist Krieg! Entrüstet Euch!“ Das Konzept des gerechten Friedens ist aber noch anspruchsvoller: es geht auch um die indirekten Auswirkungen unseres Handelns. Gerechtigkeit – und damit Friede – ist nur dann möglich, wenn unser Handeln nicht bestehende Ungerechtigkeiten bestärkt oder verstetigt.

Hier nur ein Beispiel, wie Komplex diese Herausforderung ist: Klimagerechtigkeit. Klimagerechtigkeit ist eins der Hauptthemen für die Internationale Ökumenische Friedenskonvokation in Kingston, Jamaika im Mai 2011, die den Abschluss der Dekade zur Überwindung von Gewalt bilden soll. Klimagerechtigkeit bedeutet unter anderem, dass wir das globale Klimaproblem nur dann in den Griff bekommen können, wenn sich die Industrie- und Entwicklungsländer auf Lösungen einigen können, die aus Sicht der Entwicklungsländer gerecht sind.

Das ist einsichtig und dürfte unter uns kaum Widerspruch regen. Wenn wir allerdings der Meinung sind, dass das nur ein Problem unserer Regierungen ist, dann treten wir zu kurz. Mit jedem Liter Benzin, mit jeder Kilowattstunde Kohlestrom, mit jedem neuen Plastikprodukt tragen wir selbst zur Verstärkung von Klimaungerechtigkeit bei. Wenn selbst der Becher des Bio-Joghurts, für den wir uns zur Beruhigung unseres Gewissens entschieden haben, zu globaler Ungerechtigkeit beiträgt, dann sollte uns klar werden, dass gerechter Frieden ein riesiger Anspruch ist und das es trotzdem an uns selbst liegt, alles in unserer Macht stehende zu tun, um für Gerechtigkeit und Frieden zu sorgen.

 Es ist Krieg! Entrüstet Euch!“ Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet nicht mehr: hat das mit Krieg oder Konflikt zu tun? Sondern vielmehr: trägt das irgendwie zu Ungerechtigkeit bei? Damit wird die Sorge um Frieden Kernbestandteil christlichen Handelns, denn um nichts anderes geht es im ganzen Neuen Testament: Gerechtigkeit.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen