Bericht der Tagung „Richter, Staatsanwälte und Vollzugsbedienstete für den Frieden - Wie können Bund und Länder die Einsatzbedingungen für Justizpersonal in Rechtsstaatlichkeits-missionen verbessern?“, 29. September – 1. Oktober 2014
Deutsche Justizexperten sind weltweit als Berater beim Staatsaufbau und der Implementierung guter Regierungsführung gefragt. „Exportschlager“ sind nicht nur Richter und Staatsanwälte, sondern auch Mitarbeiter aus dem Justizvollzug. Während sich deutsche Experten im Rahmen von Kurzzeiteinsätzen der internationalen rechtlichen Zusammenarbeit sehr engagieren, ist der Anteil deutscher Richter, Staatsanwälte und Vollzugsbediensteter in längeren Missionen von EU, OSZE und den Vereinten Nationen jedoch deutlich geringer. Mangelnde Informationsangebote über internationale Einsatzmöglichkeiten, unklare Regeln zur Freistellung vom Dienst, unzureichende Betreuung während des internationalen Einsatzes sowie Unsicherheit über die berufliche Zukunft nach der Rückkehr sind Ursache dafür, dass nur wenige Experten aus dem deutschen Gerichts- und Vollzugswesen in längerfristige internationale Missionen gehen.
Für Polizeimissionen gibt es seit 20 Jahren die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Internationale Polizeimissionen mitsamt einer Geschäftsstelle in Potsdam, ein Referat im Bundesministerium des Innern, den Königsteiner Schlüssel, der die Anteile von Bundes- und Länderpolizisten für internationale Missionen regelt, Entsendung von Landesbeamten über die Bundespolizei, sowie Strukturen für Ausbildung und Unterstützung bei Landes- und Bundespolizeien. Im Justizbereich fehlt das fast gänzlich. Bund-Länder Koordinierung findet allenfalls in einem jährlichen Treffen der für Personal zuständigen Referenten aus den Ländern im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz statt. Die Funktionen dieser koordinierenden Institutionen müssen allesamt von der Stiftung Internationale Rechtliche Zusammenarbeit (Stiftung IRZ) aufgefangen werden, die für die Justizministerien Experten für (Kurzzeit-)Projekte der bilateralen rechtlichen Zusammenarbeit wirbt. Daneben rekrutiert das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) deutsche Experten für multilaterale Friedensmissionen und die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) setzt auch Justizexperten in ihren Projekten ein.
- Was kann aus den Erfahrungen der Polizei für die Bund-Länder-Koordinierung von Rechtsstaatlichkeitseinsätzen im Justizbereich gelernt werden?
- Justizexperten in Auslandsmissionen sind neben Freiberuflern in der Regel Landesbedienstete, die mit ihrer Arbeit deutsche Außenpolitik und damit eine Aufgabe des Bundes umsetzen, dabei aber Lücken in ihren Heimatdienststellen hinterlassen. Wie könnte eine Bund-Länder Vereinbarung zur Bereitstellung von Personal gestaltet werden?
- Wie kann die Attraktivität von internationalen Missionen auch für Führungskräfte aus der Justiz und dem Vollzug gesteigert werden?
Mit diesen und weiteren Fragen befassten sich die Teilnehmer der Loccumer Tagung zu den Einsatzbedingungen von Justizexperten in internationalen Friedenseinsätzen vom 29. September bis 1. Oktober 2014. Die Tagung bot offensichtlich das allererste unabhängige Forum zur Vernetzung und für strategische Ab-sprachen in einer Akteursgruppe, die das dringend brauchte, um die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit deutlich zu verbessern. Neben einer gemeinsamen Problembeschreibung und Verständigung über Hand-lungsoptionen kam es in der Tagung auch zu Absprachen über eine konkrete Agenda zur politischen Weiterarbeit in Bund und Ländern, einschließlich der Herbeiführung einer Positionierung der Justizminister-konferenz.
Damit lieferte die Tagung einen wichtigen Anstoß zur politischen Klärung und zur Verbesserungen der Rahmenbedingungen, unter denen deutsches Verwaltungs- und Justizpersonal für internationale Frie-densmissionen bereitgestellt wird. Als Folge der Tagung wurde die Entsendung von Justizexperten in einem Statement für die Bundestagsanhörung zu Polizeimissionen thematisiert; das Justizministerium Nordrheinwestfalen will eine Befassung der Justizministerkonferenz mit dem Thema im Frühjahr 2015 betreiben; die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen soll angeregt werden, ihre Journalistenreisen auf die Rechtsstaatlichkeitszusammenarbeit zu fokussieren; die niedersächsische Polizei erwägt auch international eingesetztes Justizpersonal zu betreuen; das BMJV soll in den Tag des Peacekeepers einbezogen werden und es wurde vorgeschlagen, im Bundestag eine gemeinsame Anhörung des Rechtsauschusses mit dem Unterausschuss zivile Krisenprävention anzustreben.
Sekundierung als prekäres Dienstverhältnis
Das deutsche Modell der Sekundierung „aus dünner Luft heraus“ ist äußerst fragwürdig. Dieses Modell lässt sich am besten als Scheinselbständigkeit im Auftrag des Auswärtigen Amtes beschreiben. Es besteht kein Arbeitnehmer/Arbeitgeber-Verhältnis und keine Absicherung für Dienstunfähigkeit nach dem Einsatz, was im Juni 2014 zu großer Bestürzung führte, als drei deutsche Sekundierte bei einem Anschlag in Djibouti schwer verletzt wurden und in einem Fall Invalidität droht. Bestenfalls könnte man das Dienstverhältnis als ich-AG beschreiben. Dabei entspricht der Arbeitsalltag in einer Mission aber am ehestem dem Selbst-verständnis eines Arbeitnehmers: eine reguläre Tätigkeit mit weisungsberechtigten Vorgesetzten. Darüber hinaus passt das deutsche Sekundierungsrecht weder zu den Regeln des Europäischen Auswärtigen Diens-tes noch zu denen einiger Abteilungen der Vereinten Nationen, weil das Auswärtige Amt nicht anstellen kann. Im Fall der Direktanstellung bei der UN zahlt das Auswärtige Amt außer einem Honorar und dem Flugticket nichts. Ungeklärt ist auch die Behandlung von Reisekosten und steuerlicher Behandlung der internationalen Honorare. Ebenso ist die Altersvorsorge schwierig, für schwerwiegende Krankheit ist nicht vorgesorgt und einsatzbedingte psychologische Schäden finden auch keine Unterstützung. Auch Kurzzeitexperten machen ihre Einsätze oft im Rahmen von Jahres- oder Sonderurlaub.
Dabei braucht Deutschland die Sekundierten. Es gibt eine sehr hohe Nachfrage nach deutschen Justizex-perten, aber es sind aktuell nur 32 in Friedensmissionen im Einsatz. Der Bedarf ist vorhanden, aber er wird nicht bedient. Es gibt einen klaren Trend dahin, dass alle Friedensmissionen künftig Rule-Of-Law Kompo-nenten beinhalten werden. Heiße Themen sind dabei besonders Korruption, Gewalt gegen Frauen/Kinder, ausgebeutete Minenarbeiter und ganz aktuell die Bekämpfung von Ebola. Gefragt sind in erster Linie Jus-tizexperten in beratender Funktion. Exekutivmandate wie EULEX Kosovo werden die Ausnahme bleiben, auch wenn gerade diese Mission im deutschen Gerichtswesen besonders bekannt ist.
Wenn sich Friedensmissionen an den Bedürfnissen der Partner orientieren sollen, dann geht es besonders um Themen wie Korruption und kommunale Dienstleistungen. Das sind Basisdienstleistungen, für die man auch Rechtspfleger und Experten für kommunale Verwaltung braucht, die noch mehr als Richter und Staatsanwälte auf berufliche Absicherung angewiesen sind. Andere Länder machen das deutlich besser: Großbritannien, Skandinavien, etc. Das ZIF strebt daher eine Reform an mit dem Ziel, ein Anstellungsver-hältnis mit dem Staat zu etablieren. Der Ansatz, das ZIF zu einer Entsendeorganisation zu machen, fand breite Unterstützung.
Attraktivität steigern: Auslandseinsatz für Beförderung honorieren, Vertretungen organisieren
Wichtig ist es, die Attraktivität von internationalen Missionen steigern, besonders für Führungskräfte. Be-hördenleiter haben bislang wenig Anreiz: die per Diems sind gedeckelt und Auslandseinsätze verschlech-tern die Beförderungschancen. Der Einsatz muss sich für die Bewertung lohnen; der Einsatz im Ausland muss zu einem harten Faktor in der Bewertung werden. Das ist eine klare Länderaufgabe, die Beförde-rungsmöglichkeiten für Sekundierte zu verbessern. Dafür muss allerdings die konkrete Einschätzung der Tätigkeit verlässlich sein. Gerade weil sich Kompetenzen aus dem Ausland nicht 1:1 umsetzen lassen, brauchen die Landesbehörden aussagekräftige Arbeitszeugnisse, für die der Bund die nötige Standardisierung herbeiführen muss.
Der Einsatz im Ausland ist auch aus Sicht der Heimatdienststellen sinnvoll: der Kompetenzgewinn der einheimischen Richter dient den heimischen Gerichten. Dennoch lohnt sich der Einsatz für die Richter selbst eigentlich nicht. Zu erwarten sind berufliche Nachteile zu Hause: keine Garantie auf das alte Gericht, die gleiche Kammer oder gleiche Themen, da für den Einsatz Sonderurlaub gewährt wird. Während eines Langzeiteinsatzes verliert man den Anschluss: die deutsche Rechtsprechung ist weiter. Daher droht eine harte Zeit der Einarbeitung nach der Rückkehr. Zu Hause ist diese neue Einarbeitung aber ein Sonderfall, für den es weder Zeit noch Verständnis gibt.
Problematisch ist das Fehlen von sekundierten Spezialisten in relativ kleinen Vollzugsbehörden. Dort man-gelt es an Vertretern; auf dem Arbeitsmarkt ist kein entsprechendes Fachpersonal verfügbar und die Mittel für Vertretungen fehlen sowieso. Aufgrund der kleinteiligen Strukturen mangelt es auch an Beratung und Betreuung der Sekundierten. Lösungen könnte es im Verbund mit anderen Anstalten und entsprechender Personalentwicklung geben. So könnte die Bereitstellung von Experten zum Standard werden und die be-rufliche Weiterentwicklung von Langzeitexperten bei Rückkehr sichergestellt werden. Regelmäßiger Kon-takt zwischen der Heimatbehörde und den Kollegen im Ausland ist aber auch während des Einsatzes er-forderlich und sowohl die Einsatzperspektive als auch die faire Perspektive für danach müssen von Anfang an geklärt sein.
Rückkehrerbetreuung und Rekrutierung
Die Rückkehrerbetreuung ist insgesamt eine große Baustelle, da der deutsche Arbeitsmarkt sehr schwerfäl-lig ist. So ist es für die Langzeitexperten beispielsweise unmöglich, sich drei Monate vorher persönlich ar-beitslos zu melden und für den Übergang in einen neuen Job, der i.d.R. einige Monate dauert, gibt es auch keine Vorsorge. Das ZIF hat gerade ein Memorandum of Understanding mit der Deutscher Bahn geschlos-sen und arbeitet mit weiteren großen Unternehmen wie Siemens und der Lufthansa zusammen, um einen einfacheren Wechsel zwischen deutschem Arbeitsmarkt und Friedenseinsatz zu ermöglichen.
Insgesamt muss besser informiert und intensiver und systematischer nach Experten gesucht werden. Bis-lang gibt es auch im Gerichtswesen kein Rekrutierungsmanagement. Hier sind die Länder gefragt, Profile zu formulieren: wer wird mit welcher Befähigung gesucht? Ein effektives Ausschreibungssystem ist erfor-derlich. Bislang fehlt die strukturierte Einbindung der Personalverantwortlichen für internationale Rekru-tierung; das geht eher zufällig. Dazu brauchen die Länder und Behörden vom Bund und den Entsendeor-ganisationen recht grundlegende Infos: welche Einsätze, Organisationen, Priorisierung, welche Rahmen-bedingungen? Ein gutes Beispiel ist ein Info-Blatt aus dem Auswärtigen Amt von 2012. Wichtig ist es In-formationen über Ausschreibungen so zu verdichten, dass die Anforderungsprofile dem Bedarf von Perso-nalreferenten entsprechen.
Politischer Handlungsbedarf
Finanziell ist der Bund gefordert. Dort sind Stellen zu schaffen, auf die die eingesetzten Experten abgeord-net werden. Auch sollten die Länder die Ruhegehälter nicht weiter allein tragen. Ebenso müsste der Bund für die Absicherung nach der Rückkehr sorgen, einschließlich eines Sonderurlaubs für organisatorische Belange.
Die mangelnde Koordinierung im Justizbereich ist offensichtlich. Bis 2012 gab es einen Austausch für die deutschen Experten aus dem Vollzug in jährlichen Treffen beim BMJ. Dadurch waren die Experten bekannt und es fand Vernetzung untereinander statt. Der verbleibende jährliche Gesprächskreis zwischen dem BMJV und den Personalverantwortlichen der Länder reicht nicht aus. Hier sollte eine Arbeitsgemeinschaft oder ein runder Tisch gebildet werden. Zur Verbesserung der Bund-Länder-Abstimmung und ressortüber-greifenden Zusammenarbeit könnte das BMJV in die AG Internationale Polizeimissionen eingeladen wer-den.
Die Wertschätzung von Justizmissionen kann durch Reisen mit Entscheidungsträgern und Journalisten verbessert werden. Der Tag des Peacekeepers sollte mit Justizexperten und dem BMJV als Mitveranstalter erweitert werden. Die angekündigte Bund-Länder-Vereinbarung im Koalitionsvertrag, das 10-jährige Jubi-läum des Aktionsplans wie auch die strategischen Reden der Bundesminister schaffen ein förderliches Umfeld. Die Justizministerkonferenz im Frühjahr könnte die politische Initialzündung für das Themenfeld liefern. Die Bund-Länder Zusammenarbeit soll auf die Tagesordnung und ein Statement – analog zum Be-kenntnis der Innenministerkonferenz zu Polizeimissionen vom Sommer - könnte die liefern.