Kurzbericht der Tagung „Neue nationale Friedensstrategie. Was soll die deutsche Friedens- und Sicherheitspolitik leisten?“ 6.-8. Dezember 2013
„Neue Macht, neue Verantwortung“ – so lautet der Titel einer der Beiträge zur deutschen Strategiedebatte, die der Loccumer Tagung „Neue nationale Friedensstrategie – Was soll die deutsche Friedens- und Sicherheitspolitik leisten?“ zugrunde lagen. Erstellt von der Stiftung Wissenschaft und Politik und dem German Marshall Fund stellt diese Schrift das Ergebnis eines einjährigen Konsultationsprozesses unter deutschen außenpolitischen Eliten vor. Wie andere Impulse in diese Debatte ruft auch dieses Papier zu einer strategischeren und ambitionierteren Neubestimmung deutscher Außenpolitik auf. Daran anschließend versuchten die Tagungsdiskussionen Eckpunkte für eine deutsche Friedensstrategie zu definieren. Auffällig war in der Diskussion um eine solche primär diplomatisch und zivil ausgerichtete Diskussion, wie sehr besonders Tagungsteilnehmer aus den Bereichen der Friedensbewegung und –politik die Debatte immer wieder auf militärische Einsatzentscheidungen und damit auf Einzelfälle fokussierten. Und das, obwohl in der Strategiedebatte für die allermeisten Zielländer militärische Optionen überhaupt nicht zur Diskussion stehen. Jörn Grävingholt vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn sieht darin ein generelles Problem der deutschen außenpolitischen Debatte.
Rolle Deutschlands in der Welt
Im Zentrum der öffentlichen Strategiedebatte – gerade auch nach Präsident Gaucks Rede bei der Münchener Sicherheitskonferenz, die einen Monat nach der Loccumer Tagung stattfand – steht die Frage nach Deutschlands Rolle in der Welt. Deutschland boxe unterhalb seiner Gewichtsklasse, müsse mehr gestalten und öfter führen, stellte Jochen Bittner von der Wochenzeitung Die Zeit fest. Er beschrieb die aktuelle deutsche Erfahrung als einem Peter-Parker/Spiderman-Moment: Peter Parker habe festgestellt, dass er über ungewöhnliche Eigenschaften verfüge. Um zu Spiderman zu werden, müsse er diese Gabe annehmen und zum Guten einsetzen. Deutschland dürfe nicht mehr Dauer-Zauderer bleiben. Es profitiere von der Globalisierung und daraus folge eine Verpflichtung, sich zu profilieren.
Für Jasper Wieck, der im Auswärtigen Amt das Referat für Grundsatzfragen der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik leitet, ist die amerikanische Zurückhaltung in Europa und im Mittleren Osten sehr offensichtlich und Anlass über eine gewandelte Rolle Deutschlands nachzudenken. Zugleich fehlten den europäischen Staaten aber jeder für sich die Ressourcen, um die Amerikaner zu ersetzen. Europa könne seine Rolle also nur durch weitere europäische Integration und durch die Zusammenführung seiner sehr unterschiedlichen nationalen sicherheitspolitischen Kulturen ausfüllen. Bittner untermauerte, dass sich heute Souveränität international nur noch im Verbund mit anderen ausüben lassen, da Gestaltung diesen Verbund erfordere.
Dabei stelle sich dann aber die Frage, so der Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche Deutschlands Renke Brahms, ob Europa Lückenbüßer für die USA sein müsse oder eine andere Rolle übernehmen solle. Ulrich Speck von Carnegie Europe mahnte in diesem Kontext eine realistische Aufgabenbeschreibung Deutschlands an. Als Mediator sei Deutschland einfach zu groß. Dem pflichtete Jörn Grävingholt bei. Deutschland fehle zwar ein eindeutiges Profil, aber wenn es um die Stärkung von Mediation gehe, müsse man zunächst fragen, was die spezifischen Chancen Deutschlands seien? Es könne nicht darum gehen, Österreich oder Norwegen zu verdrängen. Natürlich habe Deutschland international ein gutes Image und es gäbe Erwartungen an Deutschland in Konflikten tätig zu werden, aber Deutschland wäre wohl eher in der strukturellen Prävention wichtig.
Ebenso warnte der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter, dass sich Deutschland keine Nischen suchen könne. Erst müssten Deutschlands Interessen diskutiert werden, erst dann könne man sich den Instrumenten zuwenden. In jedem Fall brauche Deutschland Wahlfähigkeit und daher unterschiedliche Bündnisse, um seine Interessen durchzusetzen.
Jörn Grävingholt vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik teilte die Ansicht, dass eine Aufgabenteilung erst dann möglich sei, wenn die Aufgabe beschrieben sei. Ein einfaches „weiter so“ reiche nicht, daher müsse man nun intensiver über Veränderung im Hier und Jetzt nachdenken, es gehe um aktive Gestaltung. Dabei sollten Frieden und Sicherheit als globale Gemeingüter im Mittelpunkt stehen. Der Titel des SWP/GMF-Papieres „Neue Macht, Neue Verantwortung“ suggeriere wachsende Macht, aber es stelle sich die Frage, ob der Scheitelpunkt deutscher Macht möglicherweise schon verstrichen sei? In jedem Fall sei die Sache dringlich: Deutschland müsse jetzt gestalten, da die Chancen dafür geringer würden. Noch könne Deutschland eine kooperative internationale Ordnung mitgestalten. Dazu müssten wir aber jetzt in Vorleistung treten und die vorhandenen Gestaltungsmöglichkeiten wie Ressourcen-, Finanzmarkt- und Handelspolitik alle nutzen. Es gelte die noch vorhandene Position der relativen Stärke rasch zu nutzen. Das schließe auch Deutschlands gute Verbindung zu den Gestaltungsmächten ein. Insgesamt müsse Deutschland seine Soft Power stärker pflegen und einbringen.
Wir haben keine nationale Sicherheitsstrategie
Zu Beginn der Tagung stellte Jasper Wieck fest, es sei eine internationale Besonderheit, dass Deutschland keine nationale Sicherheitsstrategie habe. Die Begründung dafür sei wahrscheinlich historisch. Vor 1990 habe sich deutsche Politik in allem an der Wiedervereinigung orientiert; damals wäre eine Strategie also fast überflüssig gewesen. Danach habe man es dann einfach versäumt, eine Strategie auszuformulieren. Sie sei aber durchaus virtuell in den Köpfen der außenpolitischen Akteure vorhanden.
Für Brigadier Wolfgang Peischel von der Österreichischen Militärischen Zeitung ist dieses deutsche Strategiedefizit auch ein europäisches Problem. So könne die EU ihren Mitgliedsstaaten keine strategische Orientierung bieten, weil ihr selbst eine Strategie mit ausreichenden Mitteln fehle. Zugleich sei Deutschland aber der Motor für die europäische Strategiebildung. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sprach seine Hoffnung aus, dass der EU-Gipfel daher eine Neubeauftragung der Europäischen Sicherheitsstrategie aussprechen würde. Das würde es erlauben, die aufkeimende deutsche Strategiedebatte mit einer europäischen zu verbinden.
Große Übereinstimmungen herrschten auch bei den Erwartungen an Art und Umfang einer Sicherheits- und Friedensstrategie. Peischel verdeutlichte, dass es bei einer Strategie um die Zielsetzung und nicht um die operative Umsetzung gehen müsse. Sie müsse langfristige Orientierung bieten und damit auch Einschränkungen im Hier und Jetzt tolerieren können. Für den Erstellungsprozess zähle daher die Qualität des Denkens, nicht der Umsetzung. Folglich seien Ideen, Initiative und Kreativität gefragt. Auch Kiesewetter warnte, dass es nicht zu einem 70-seitigen Wenn-Dann-Dokument kommen dürfe. Deutsche Politik erkläre Sicherheitspolitik zu wenig; folglich müsse die Strategiebildung zum Anlass genommen werden, mehr über Friedenspolitik zu diskutieren. Die resultierende Strategie müsse Interessen formulieren, um deutsche Außenpolitik verlässlich zu machen. Die Bundestagsvizepräsidentin und SPD-Außenpolitikerin Edelgard Bulmahn pflichtete bei: die Strategie müsse Ziele, Interessen und Prioritäten klar benennen, das habe die deutsche Politik noch nicht geleistet. Dabei gelte es inhaltliche und regionale Prioritäten festzulegen, die verbindlich für alle Ressorts gelten müssten. Ideal, so Peischel, sei eine Friedensstrategie, die zugleich Sicherheitsstrategie sei. Frieden sei langfristig und nachhaltig; Sicherheit hingegen kurzfristig und kurz gegriffen. Dort, wo es Widersprüche zwischen Friedens- und Sicherheitsstrategie gäbe, müssten diese klar benannt werden.
Normativen Rahmen klären
Die von Wieck attestierte virtuell vorhandene Strategie scheint sich primär in einem gemeinsamen normativen Deutungsrahmen deutscher Außenpolitik zu konstituieren. Hier ist für viele – und natürlich auch Wieck – die Präambel des Grundgesetzes maßgeblich:
- „als gleichberechtigtes Glied
- in einem vereinten Europa
- dem Frieden der Welt zu dienen.“
Neben der darin enthaltenen zentralen Rolle der EU, die er als eine immer engere Union der Völker charakterisierte, nannte er auch den NATO-Vertrag und die Charta der Vereinten Nationen als materielle Orientierungspunkte deutscher Strategie.
Darüber hinaus orientiere sich deutsche Politik an der menschlichen Sicherheit. Dieses ursprünglich von Kanada eingebrachte Konzept etabliert das Sicherheitsbedürfnis einzelner Menschen als zentralen Orientierungspunkt internationaler Politik. Renke Brahms sieht in diesem Schutz der Menschen vor Gewalt und Not einen Gewinn, gibt aber auch zu bedenken, dass die Versicherheitlichung elementarer Menschenrechte sich jetzt möglicherweise als irreführend erweise.
Auf Basis des in der Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche entfalteten Leitbilds des gerecht Friedens postulierte Brahms, dass sich deutsche Außenpolitik an der Aufrechterhaltung von Gerechtigkeit und Recht orientieren müsse. Wieck pflichtete bei, dass das Markenzeichen deutscher Außenpolitik der Einsatz für das Recht sei. Er gab aber auch zu bedenken, dass Normenkonflikte zu Dilemmata führen könnten. Brahms bot eine konkrete Operationalisierung der Orientierung am gerechten Frieden an. So müsse immer ein Vorrang für Gewaltfreiheit gelten; Prävention von Gewalt müsse vor Intervention geht; und Konflikttransformation müsse dem Einsatz von Militär vorausgehen. Dazu könne (1) die Stärkung und Weiterentwicklung universaler Institutionen beitragen, was eine aktive Rolle Deutschlands in den Vereinten Nationen impliziere. (2) Damit eng verbunden sei eine konsequente multilaterale Friedenspolitik jenseits der Bündnisse. Hier stelle sich die Frage, welchem Bündnis Deutschland eigentlich verpflichtet sei. (3) Zentral sei eine Stärkung und Weiterentwicklung internationalen Rechts. So sei noch zu klären, wie der präventive Charakter der Schutzverantwortung (R2Prevent) umgesetzt werden könne. (4) Schließlich solle Deutschland konsequent zivile Kräfte für internationale Einsätze bereitstellen.
Jochen Bittner von der Wochenzeitung Die Zeit unterstrich, dass deutsche Außenpolitik unstrittig wertorientiert, multilateral und bündnisgebunden sei, stellte aber die Frage, wie sie präventiv sein könne? Bulmahn gab zu bedenken, dass eben der übliche Blick aufs Militär das nur unzureichend leisten könne. Stattdessen müsse zivile Friedensförderung im Zentrum deutscher Politik stehen. Ähnlich wie Brigadier Peischel stellte sie fest, dass Sicherheitspolitik nachrangig sei. Friedensförderung sei das Charakteristikum deutscher Außenpolitik und gehöre daher gestärkt und zum spezifischen strategischen Fokus gemacht.
Strategische Dokumente gemeinsam weiter entwickeln
Auch wenn Deutschland eine Grand Strategie fehle, so gäbe es doch Elemente dafür, so Bittner. Wieck zählte eine Reihe strategischer Dokumente auf: Das Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr von 2006, die Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2011, der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ von 2004, das Gestaltungsmächtekonzept der Bundesregierung (Globalisierung gestalten – Partnerschaften ausbauen – Verantwortung teilen) von 2012, der Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der VN-Resolution 1325 von 2012, die Ressortübergreifenden Leitlinien für eine kohärente Politik der Bundesregierung gegenüber fragilen Staaten von 2012, sowie die Europäische Sicherheitsstrategie von 2003 und das strategische Konzept der NATO von 2010.
In der Tagung herrschte große Übereinstimmung, dass eine übergreifende Strategie breit beraten werden müsste, was bei den bisherigen strategischen Dokumenten nur sehr eingeschränkt geschehen ist. Wieck hielt fest, dass die Beteiligung der Zivilgesellschaft für die Formulierung von Außenpolitik wichtig sei. Man lebe vom Input der Experten und sie bemüht, sie einzubeziehen. Für diesen Dialog mit der Expertenwelt sei vielfältige Expertise abgreifbar.
Bodo von Borries, der beim Verband der Entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen den Bereich der humanitären Hilfe und Entwicklungspolitik bearbeitet, betrachtete die Expertenkonsultation des Auswärtigen Amtes nüchterner. Es fänden keine formalisierten Zusammentreffen statt und oft sei es schwer, genau die angefragte Kompetenz beizubringen. Beispielhaft sie die schlechte Beteiligung beim Afrikakonzept der Bundesregierung gewesen. Nichtregierungsorganisationen hätten die Gelegenheit gehabt, zu Beginn des Erstellungsprozesses eine Gliederung zu kommentieren. Danach habe es keine weitere Rückmeldung gegeben, bis das Konzept fertig gewesen sei. Dabei habe es mit dem Konsultationsprozess für das Konzept des Auswärtigen Amtes zur Förderung von Vorhaben der Humanitären Hilfe (2013) auch gute Erfahrungen gegeben: das Auswärtige Amt habe hier eine 2-tägige Klausur gemeinsam mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen durchgeführt. Insgesamt fehlten dem Auswärtigen Amt routinierte Konsultationsformate, wie sie im Bereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung längst etabliert seien. Auch habe der Beirat für zivile Krisenprävention ein sehr begrenztes Mandat. Das würde zu Ernüchterung mit der Beteiligung führen, weil die dort vertretenen zivilgesellschaftlichen Experten gern weiter wirken würden, als sie es können.
Sabine Gans, die das Bundesministerium der Verteidigung im Ressortkreis Zivile Krisenprävention vertritt, meinte, dass sich Strategieworkshops nur ad hoc durchführen ließen. Vielmehr müsse das Feld politisiert werden. Aufgabe des Ressortkreises, der sich alle drei Monate treffe, sei es, die Aktivitäten der beteiligten Ministerien zu koordinieren; zwar habe er in der Vergangenheit unterschiedliche Gesprächskreise zu verschiedenen Themen wie Early Warning gebildet, aber er habe bisher keine Strategie gemacht. Wenn die Ressorts Strategien – im Interesse der Vermeidung grundsätzlicher Einwände dagegen besser „Konzepte“ genannt – machen sollten, stelle sich die Frage, wer den Auftrag dazu auf die Agenda setze. So könne der Ressortkreis bei entsprechender politischer Beauftragung durchaus ein umfassendes Konzept für die Aufstellung der zivilen Krisenprävention unter Mitarbeit von Wissenschaftlern, der Zivilgesellschaft und anderen Akteuren erarbeiten. Dafür wünsche sie sich eine echte Zusammenarbeit von Beirat, Unterausschuss und Ressortkreis für zivile Krisenprävention.
Einen anderen Vorschlag zur Unterstützung einer zivilen Friedensstrategie stellte von Borries. So könne ein neuer Rat für Friedensförderung – analog zum Rat für Nachhaltig Entwicklung – Impulse für eine friedenspolitische Strategie entwickeln sowie Felder und Bereiche für eine Überarbeitung des Aktionsplans zivile Krisenprävention vorschlagen.
Für den Abgeordneten Roderich Kiesewetter gehört die strategische Debatte in den Bundestag. Er bemängelte, dass das Parlament nie debattiere, warum sich Deutschland wo engagiere. Die Einbindung des Bundestags in die Strategiedebatte fand in der Tagung breite Unterstützung. Ambivalenter waren die Haltungen gegenüber einer jährlichen strategischen Resolution. Bittner gab zu bedenken, dass es nicht zu einer Überregulierung außenpolitischen Handelns und einer immer neuen außenpolitischen Willensbildung im schnellen Rhythmus kommen dürfe. Tim Rohardt, Referent in der SPD-Bundestagsfraktion, unterstützte die Sicht, das Plenum des Bundestags nicht jährlich mit einer Strategiedebatte zu befassen, und regte an, den Unterausschuss Zivile Krisenprävention mit der Strategiebildung und deren Fortschreibung zu beauftragen.
Eine Sicherheitsstrategie, die im Kern eine vorweg genommene Grundsatzentscheidung sei, für was Ressourcen riskiert werden sollten, sollte mit kühlem Kopf aber mit Einbindung einer breiten Öffentlichkeit entwickelt werden, so Bittner. Dafür müsse in Ruhe überlegt werden, welche Risiken wir eingehen wollten. Eine solche öffentliche Festlegung als breiter, mit dem Souverän verhandelter Konsens könne nicht jedes Jahr aufs neue erfolgen. Bei alledem sei es wichtig, Strategie als Prozess zu verstehen. Dafür müsse eine Debatte zur Strategiefindung erzeugt werden, in der die Selbsterforschung für Deutschland im Moment Priorität haben sollte. Rohardt konkretisierte dies, indem er feststellte, dass diese Debatte zu einer Entschlossenheit und Glaubhaftigkeit führen müsse, Gewaltmittel auch zur Erreichung der gemeinsam gesteckten Ziele einzusetzen. Man müsse das Militär nicht einsetzen, aber man müsse darüber sprechen können.
Friedensstrategie profilieren
Obwohl in außenpolitischen Zirkeln das Fehlen einer nationalen Strategie schon länger bemängelt wird, liegen bis heute nur Vorschläge und Eckpunkte für einzelne Elemente einer nationalen Strategie vor. Die umfassendsten Initiativen wurden im Rahmen der Tagung vorgestellt und diskutiert: das bereits erwähnte Papier „Neue Macht, Neue Verantwortung“, die Eckpunkte einer Strategie für Friedensförderung und Konflikttransformation der Friedrich-Ebert-Stiftung, das Konzept der Anlehnungspartnerschaften der CDU-Abgeordneten Kiesewetter und Schockenhoff, sowie die ressortübergreifenden Leitlinien der Bundesregierung für eine kohärente Politik gegenüber fragilen Staaten. Darüber hinaus waren mit Thomas Roithner vom Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung und Brigadier Wolfgang Peischel von der Österreichischen Militärischen Zeitung bewusst zwei Vertreter aus diesem Nachbarland einbezogen, das sich selbst vor kurzem eine neue nationale Sicherheitsstrategie gegeben hat.
Roithner stellte zunächst fest, dass in der Österreichischen Sicherheitsstrategie sowohl Bedrohungen als auch Herausforderungen alle das gleiche Sicherheitslabel erhalten hätten. Somit fehle darin die außenpolitische Dimension und die Strategie sei für viele erhebliche zivile Probleme blind, weil es dafür keine militärischen Antworten gäbe. Grundsätzlich gehe die Strategie von einem pro-aktiven Sicherheitsansatz aus: Bedrohungen sollten erst gar nicht entstehen; dafür mangele es aber an angemessenen Instrumenten.
Kern einer Friedensstrategie müsse die Gestaltung der internationalen Ordnung in einer Weise sein, dass sie direkt an Gerechtigkeitsfragen anknüpfe. Dabei stelle sich die Herausforderung zu einer Prioritätenverschiebung innerhalb der EU zu kommen, denn bei EU-Einsätzen ständen immer noch 70% militärisches 30% zivilen Personal gegenüber. Die Österreichische Sicherheitsstrategie sehe zwar einen Pool von Ressourcen für zivile Sicherheit vor, aber es herrsche weiterhin ein krasses Missverhältnis zwischen militärischen und zivilen Kapazitäten, was dem Anspruch eines Whole-of-Nation-Ansatzes nicht gerecht werde. Warum würde man nicht eine ziviles Kerneuropa bilden? Die OSZE wäre auch in der österreichischen Strategie kaum präsent.
Die Förderung der OSZE forderte auch Brahms, der an seine Gedanken zum gerechten Frieden als normativen Rahmen eine Reihe konkreter Vorschläge für Elemente einer Friedensstrategie anschloss. So sollte die europäischen Institutionen gerade im Bereich der Außenpolitik und der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ausgebaut werden. Dabei stelle sich auch die Frage, welche NATO-Befugnisse zurück in die EU als zivile Macht geholt werden müssten?
Deutschland trage eine Verantwortung zum Abbau von Waffenpotenzialen, was sowohl Engagement in der Abrüstung also bei Rüstungsexporten erfordere. So müsse der Arms Trade Treaty schnell ratifiziert werden und eine restriktive Rüstungsexportpolitik zu einer deutlichen Reduzierung deutscher Rüstungsexporte führen. Besonders kritisch sei die Frage, ob Rüstungsexporte inzwischen zu einem außenpolitischen Instrument geworden wären? Stattdessen müsse die zivile Konfliktbearbeitung ausgebaut werden, dazu fände sich aber enttäuschend wenig im Koalitionsvertrag.
Ziel deutscher Politik solle es sein, menschlicher Sicherheit und Entwicklung zu verwirklichen. Das erfordere die Diskussion nicht nur nationaler, sondern auch internationaler Interessen. In diesem Sinne gelte es ressortübergreifende Friedenspolitik gemeinsam mit der Zivilgesellschaft statt Sicherheitspolitik zu machen, um der Gefahr der von Roithner für Österreich verdeutlichten Gefahr der Versicherheitlichung zu entgehen.
Edelgard Bulmahn bezog sich in ihren Überlegungen auf das Eckpunkte-Papier der Friedrich-Ebert-Stiftung, dessen Erstellung und Diskussion sie angestoßen hatte. Eine deutsche Strategie für Friedensförderung und Konflikttransformation müsse als übergeordnetes Ziel der Eskalation von Konflikten und Gewalt vorbeugen. Das erfordere eine Stärkung der Schutzverantwortung (R2P) und insbesondere deren Operationalisierung. Deutschland müsse Beiträge zur Überwindung von Konflikten in fragilen Staaten leisten und grundlegend Konfliktursachen bearbeiten, zu denen unter anderem Armut, Unterernährung und schlechte Regierungsführung zählten. Von einem partnerschaftlichen Ansatz geleitet, bedeute das vor allem bei der Entwicklung von Konfliktlösungskonzepten zu unterstützen und dabei die Eigenverantwortung (Ownership) der Konfliktparteien zu respektieren. Bulmahn und Oppermann wiesen daraufhin, dass oft Ansätze und Instrumente fehlten, die Zivilgesellschaft zu fördern, wenn man mit der staatlichen Ebene nicht arbeiten könne oder wolle. Daher müsse immer gefragt werden, mit welchen Partnern man Konflikte bearbeiten wolle, und Zielkonflikte vorher offen benannt und analysiert werden.
Dennoch müsse deutsche Politik auch Good Governance, demokratische Kontrolle und Rechtsstaatlichkeit stärken. Edelgard Bulmahn stimmt mit Renke Brahms überein, dass Abrüstung und strikte Exportkontrolle wichtiges Element einer deutschen Friedensstrategie sein müssten. Das bedeute auch die Verankerung eines Abkommens zu Kleinwaffen. Weitere Übereinstimmun herrscht mit Brahms in der Überzeugung, dass das deutsche Regierungshandeln insgesamt strategisch auf diese Ziele ausgerichtet sein müsse, egal, um welche Ressorts es ginge. Das erfordere eine grundlegende Kulturveränderung und berge durchaus Konfliktpotenzial, denn das Ressortprinzip greife nicht nur in der Regierung sondern auch im Bundestag.
Ulrich Speck von Carnegie Europe mahnte an, dass Deutschland auch eine eigene Strategie für Konflikte brauche. Wenn die Bewahrung von Sicherheit und Frieden das Ziel deutscher Außenpolitik sei, dann müsse man auch der EU und der NATO etwas bieten und eigenen Positionen Nachdruck verleihen können. Eine solche robuste Herangehensweise müsse nicht zwangsläufig in Spannung mit der Bevölkerung stehen. So könne sich Deutschland sich auf die weiche Seite von hard power konzentrieren und Aufgaben im Vorfeld und Umfeld von Interventionen wie intensive diplomatische Bearbeitung und professionelleres ziviles Engagement übernehmen. Bei aller Konzentration auf das Zivile könne das aber das Militär nicht ersetzen.
Dennoch könne sich Deutschland Szenarien aussuchen, auf die eine deutsche Strategie besonders eingeht, so Bittner. An erster Stelle müsse die Festlegung der Interessen und Werte liegen, an der sich die Strategie orientieren solle. Daraus ließen sich dann aber Szenarien zur Schwerpunktsetzung, Instrumentierung und Koalitionsbildung ableiten. Edelgard Bulmahn unterstrich, dass wir den Mut haben müssten, Prioritäten sowohl inhaltlich als auch regional zu setzen. Diese sollten sich nach unseren Stärken und Kompetenzen ausrichten.
Die CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter und Andreas Schockenhoff hatten 2012 gemeinsam einen Debattenbeitrag geliefert, der vorschlug die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik unter anderem dadurch voranzubringen, dass europäische Streitkräfte enger verzahnt werden sollten. Darauf aufbauend stellte Kiesewetter in Loccum die Frage, ob 1,7 Millionen Soldaten in 28 europäischen Armeen noch zeitgemäß wären, oder ob diese Zahl nicht verringert werden und gleichzeitig die Effektivität des europäischen Militärs verbessert werden müsse? Das erfordere eine enge Abstimmung mit den europäischen Partnern, sei aber unerlässlich. So verfüge die Bundeswehr mit ihrem „Breite vor Tiefe“-Ansatz über ein breites Fähigkeitsspektrum, aber die allermeisten Bundeswehrverbände seien im Einsatz allein nicht durchhaltefähig: das vorhandene Personal reiche nicht aus, um diese Fähigkeiten dauerhaft im Einsatz zu halten. Daher solle die Bundeswehr mit anderen Armeen Anlehnungspartnerschaften etablieren. In diesen Partnerschaften würden sich Verbände aus unterschiedlichen Armeen als gleichberechtigte Partner wechselseitig unterstützen. Diese Art der intensiven und kontinuierlichen Zusammenarbeit mit dem Ziel größerer Komplementarität wäre insofern ein neues Paradigma, weil z.B. auch in der Ausbildung und bei Beschaffungsstandards intensiv multinational zusammengearbeitet würde. So könnte über Zeit durch intensivierte Zusammenarbeit eine europäische Armee wachsen. Die bisherige Praxis multinationaler Corps sei dafür nicht weitreichend genug; auch die Ausbildung – einschließlich des zivilen Bereichs – müsse zusammengelegt werden. Ein erster Bereich für solche Anlehnungspartnerschaften könnten Aufklärungskapazitäten für Krisenprävention sein, die besonders auch für zivile Zwecke genutzt werden könnten.
Als Weg dorthin böte sich innerhalb der EU das Verfahren der permanenten strukturierten Zusammenarbeit an, das es fünf bis sechs europäischen Staatengruppen ermöglichen würde, mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten Anlehnungspartnerschaften für verschiedene Szenarien mit parlamentarischer Begleitung gemeinsam vorzubereiten. Das eine solche Zusammenarbeit schon möglich sei, zeige die deutsch-niederländische Zusammenarbeit: der deutsche Inspekteur führe bereits die niederländischen Panzer und deren Artillerietruppe. Dabei sollten künftige Anlehnungspartnerschaften aber nicht rein militärisch gedacht werden.
Neben den Aufgaben und Instrumenten müssen für eine strategische Orientierung auch regionale Prioritäten benannt werden.
Regionale Schwerpunkte klären
Anke Oppermann aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung plädierte dafür, die regionalen Schwerpunkte deutscher Außenpolitik nicht auf die unmittelbare Peripherie zu beschränken. Deutsche Politik müsse weit reichen können, nur so könnten wir immer das richtige tun. Ein thematischer Schwerpunkt deutscher Entwicklungszusammenarbeit seien Transformationsprozesse und in diesem Kontext besonders auch die Unterstützung von Ländern in Südosteuropa und im Mittelmeerraum. Die regionale Integrität Südosteuropas sei ein Erfordernis für die Stabilität Europas. Dafür brauche der Balkan, einschließlich Albaniens, eine europäische Perspektive. In diesem Sinne fördere Deutschland und die EU die Zusammenarbeit innerhalb der Region. So gäbe es einen Europäischen Fond für Südosteuropa zur Förderung kleiner und mittlere Unternehmen. Ein wesentliches Prinzip deutscher Unterstützung sei es die Zusammenarbeit nicht mehr bilateral zu strukturieren, sondern vielmehr deutsch-südosteuropäische Projekte zu konzipieren, in denen mehrere Partnerländer mit vergleichbarer Geschichte, ähnlichen Problemen und vergleichbaren Lösungen Maßnahmen gemeinsam umsetzen.
Speck unterstütze den Fokus auf die östliche und südliche Nachbarschaft der EU, aber schon für Syrien stelle sich die Frage, wo die Beiträge Deutschlands zu Diplomatie, Konfliktbearbeitung und Nothilfe seien. Es wäre gut, wenn sich Deutschland neuen Aufgaben zuwenden und eine eigene Agenda entwickeln würde, bevor andere an unsere Türen klopften.
Eine strategische Außenpolitik dürfe nicht nur nach Hotspots fragen, so Oppermann, sondern müsse die Demographie und Beschäftigungsentwicklung unterschiedlichster Regionen im Blick haben. Glücklicherweise komme man über das klassische Sphärendenken weg.
50 Prozent der Empfängerstaaten deutscher Entwicklungszusammenarbeit seien fragil; da sei es wichtig, regionale Verantwortung vor Ort zu fördern und für die Komplementarität zwischen der EU-Strategie und der Nationalstrategie zu sorgen. Unsere Partner erwarteten nicht Hilfe, sondern einen Know-How Transfer durch Entwicklungszusammenarbeit. Dabei werde Deutschland als echter Partner wahrgenommen, weil es keine eigene Agenda vor Ort habe.