Bericht der Tagung „Schutzleute als Friedensmacht - Wie können deutsche Polizisten internationale Friedenseinsätze effektiver unterstützen?“, 30. Oktober bis 1. November 2013

Deutsche Polizisten haben sich international einen guten Namen gemacht. Nicht nur auf dem Balkan, sondern auch in Afghanistan, Moldavien, Georgien, im Süd Sudan und im Irak. Als ein Paradebeispiel effektiven Trainings wird dabei die Ausbildung senegalesischer Polizisten für einen Einsatz in Darfur im Rahmen der UNAMID-Mission (African Union – United Nations Hybrid Operation in Darfur) genannt. Mit Hilfe weniger hoch ausgebildeter deutscher Polizisten konnte so die Afrikanische Union gestärkt, zur Konflikttransformation im Sudan beige-tragen und die Polizeiarbeit und -ausrüstung im Senegal verbessert werden.
Die Erfahrungen mit bisherigen Missionen haben aber auch gezeigt, dass die Rahmenbedingungen für den Einsatz deutscher Polizisten im Ausland noch verbessert werden können: die Anzahl der entsendeten Beamten bleibt hinter internationalen Erwartungen zurück; nicht immer stehen die richtigen Spezialisten für immer komplexere Missionen zur Verfügung; bisweilen sind Beamte zu kurz im Einsatz, um Entwicklungsprozesse zu begleiten; die Standards für die Auswahl von Beamten passen nicht zu den differenzierten Einsatzszenarien; es mangelt an Strategien und Institutionen zur Kompetenzsicherung.


In welchem Umfang soll sich Deutschland an internationalen Polizeimissionen beteiligen? Wo müssen Rahmenbedingungen angepasst werden? Wie sollen Polizeimissionen parlamentarisch begleitet werden? Mit diesen Fragen beschäftigten sich Polizisten aus Bund und Ländern, Experten für zivile Krisenprävention und fachlich engagierte Politiker Ende Oktober 2013 im Rahmen einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum.
Die Tagung räumte mit einem wichtigen Missverständnis auf: die Polizeien in Bund und Ländern könnten schon jetzt deutlich mehr Polizeivollzugsbeamte in internationale Missionen entsenden, wenn sich Deutschland zu einer stärkeren Beteiligung an diesen Polizeimissionen entschließen würde. Dafür stehen mehr motivierte und ausgebildete Beamte bereit, als in den aktuellen Kontingenten zum Einsatz kommen können. Für ein solches intensiviertes Engagement bedarf es weder zusätzlicher Mittelzuweisungen des Bundes an die Länder, noch institutioneller Veränderungen.
Dringenden Handlungsbedarf sahen die Tagungsteilnehmer allerdings bei den Institutionen zur Ausbildung der Beamten für internationale Einsätze und den Strukturen zur Sicherung und Weiterentwicklung der im Einsatz gewonnenen Kompetenzen. Hier ist der Bund gefragt, die Ausbildung in den Polizeiakademien in Lübeck, Brühl und Wertheim sowie ein Institut für internationale Polizeieinsätze an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster finanziell abzusichern.

 

Entwicklungen und Trends internationaler Polizeieinsätze

Weltweit seien derzeit 240.000 Personen in Krisen- und Friedenseinsätzen mit UN-Mandat eingesetzt, allerdings nur knapp 112.000 in von den UN geführten Einsätzen, berichtete Tobias Pietz vom Zentrum für internationale Friedenseinsätze. Dabei seien einige bedenkliche Trends zu beobachten: die Industrieländer würden Missionen der Vereinten Nationen zwar mit viel Geld unterstützen, aber ihre personelle Beteiligung am UN-Peacekeeping sei seit Jahren rückläufig. Darüber hinaus würden Missionen zunehmend bilateral oder im Rahmen der Gemein-samen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU organisiert. Gleichzeitig nähme aber auch die Rolle anderer Regionalorganisationen wie der Afrikanischen Union oder der Westafrikanischen Wirtschaftsgemein-schaft (ECOWAS) zu.
Insgesamt ließe sich ein Bedeutungsgewinn von Missionen im Bereich Rechtstaatlichkeit, Sicherheitssektorre-form und neuerdings auch Strafvollzug feststellen. Eine solche strategische Neuausrichtung auf das Justizsystem insgesamt attestierte auch Markus Bierschenk von der Civilian Planning and Conduct Capability des Europäi-schen Auswärtigen Dienstes. Als Missionsplaner stellte er fest, dass die Förderung von Menschenrechten und Gleichberechtigung ein zentrales Element aller Missionen im Rahmen der GSVP sei. Besondere Aufmerksamkeit verdienten dabei Krisenherde in unmittelbarer Nachbarschaft, wie die vier jüngsten Missionen in Nordafrika belegten.
Dabei stelle sich die Frage, inwieweit die Staatengemeinschaft diesem Bedarf nachkommen könne, so Pietz. Ge-rade für diese neueren Missionen im Kontext multidimensionalen Peacekeepings käme es weniger auf die Masse des eingesetzten Personals als vielmehr auf dessen Expertise an. Da der globale Süden oftmals nur geschlossene Polizeieinheiten schicken könne, läge es an Industrieländern wie Deutschland, die erforderlichen Experten be-reitzustellen.
Christoph Ehrentraut, Leiter der Geschäftsstelle Internationale Polizeimissionen im Bundesministerium des In-nern, teilte die Einschätzung, dass Polizeimissionen ein wichtiger Teil der Krisenprävention seien. So unterstütz-ten sie den Aufbau staatlicher Institutionen und sorgten für das Mindestmaß von Sicherheit, das für die Gesell-schaftsbildung erforderlich sei. Aktuell seien deutsche Polizisten in acht EU-Missionen, fünf UN-Einsätzen und zwei bilateralen Projekten eingesetzt. Entgegen ursprünglicher Erwartungen aus Zeiten des ersten deutschen Polizeieinsatzes in Namibia (1989), wären nicht einzelne, zeitlich klar abgegrenzte Missionen, sondern die konti-nuierliche Unterstützung internationaler Einsätze zur Norm geworden. Auch Ehrentraut erwartet mehr Anfra-gen und betonte, dass Deutschland in seinem Engagement in internationalen Polizeimissionen und -projekten nicht nachlassen dürfe; dies sei ein Auftrag, der auch aus dem sehr guten Ruf folge, den sich Deutschland hier erarbeitet habe.
Gepaart mit einem Comeback der UN – worauf das internationale Engagement in Mali und Syrien hinweist -, stelle sich die Frage so Pietz, wie Deutschland Rechtstaatlichkeitsmissionen künftig besser unterstützen könne. Über Partnerschaften mit anderen Regionalorganisationen oder dem Kofi-Anan-International-Peacekeeping-Training-Centre (KAIPTC) in Ghana ließe sich die Wirksamkeit und Effektivität des Einsatzes deutscher Spezialis-ten steigern. Die Bundestagsvizepräsidentin und Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für zivile Krisenpräven-tion Edelgard Bulmahn merkte an, dass inzwischen erkannt wurde, dass durch die Zunahme innerstaatlicher Konflikte die Polizei um so wichtiger sei, aber deren Relevanz weiterhin unterschätzt würde. Für besonders prob-lematisch hält sie, dass das Thema bei den Innenpolitikern noch nicht angekommen sei.

Internationale Missionen und die Sicherheit zu Hause

Das Selbstverständnis der bürgerorientierten zivilen deutschen Polizei trage wichtige Impulse in diese Missionen, so der Inspekteur der Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen Dieter Wehe. Auch wenn Missionen primär der Friedenssicherung dienten, sei zu beachten, dass Probleme zu uns kämen, wenn wir nicht zu ihnen gingen.
Andre Heinrichs, der mit 10 Jahren Auslandserfahrung nun das Dezernat für Rechtsextremismus im nordrhein-westfälischen Landeskriminalamt leitet, stellte fest, dass Exekutivmandate, bei denen deutsche Polizisten direkt die Strafverfolgung übernähmen, die Ausnahme seien. Die UNMIK-Mission (United Nations Interim Administra-tion in Kosovo) habe so direkt zur Aufklärung in Deutschland beigetragen. Dennoch würden auch die üblicheren Ausbildungsmissionen zu sicheren Verhältnissen in Deutschland beitragen. Insbesondere im Kontext Organisier-ter Kriminalität und Terrorismus seien die im Ausland geknüpften Kontakte und Netzwerke für die Arbeit in Deutschland sehr wertvoll und würden im täglichen Dienst genutzt.
Darüber hinaus kämen Beamte bereichert aus dem Einsatz zurück, bemerkte Wehe. Heinrichs sieht diesen Mehrwert insbesondere in den Bereichen internationale Erfahrung, kulturelle Kompetenz und natürlich in der Vernetzung mit Kollegen in den unterschiedlichsten Ländern. Bierschenk spricht hier von der Europäisierung der Polizeiarbeit: Missionen ermöglichten auch die Netzwerkbildung unter Beamten aus unterschiedlichen Entsen-derstaaten. So würden in den Missionen unterschiedliche europäische Fähigkeiten kombiniert und Beamte könnte über ihre Missionsnetzwerke dieses Spezialwissen anderer europäischer Polizeien für die Arbeit zu Hause nutzbar machen. Gerade auch deshalb sei die Rückkehr in die Heimat wichtig.
Allerdings stellte Heinrichs auch fest, dass diese Kapazitäten noch nicht ausreichend genutzt würden, da weder eine systematische Auswertung noch eine konsequente Abschöpfung dieser Kompetenzen für den Dienst in Deutschland stattfände. Die Folge sei ein Mangel an Gelegenheiten, die Erfahrungen aus dem Ausland im Inland gewinnbringend einzusetzen. Dringend erforderlich wäre also die länderübergreifende Erarbeitung von Re-Integrationskonzepten, die eben dieses leisten könnten. Modelle, wie sich solches Erfahrungswissen einbringen ließe, gäbe es in den USA  oder auch in Frankreich, wo Springer mit Führungswissen eingesetzt würden. Ziel müs-se es sein, einen verlässlichen Überblick zu gewinnen, wo Expertenwissen aus Auslandsmissionen vorhanden sei.

Ausreichend Personal für den Auslandseinsatz

Deutschland habe sich verpflichtet, 910 Polizeivollzugsbeamte zum EU Headline Goal von 5000 Polizisten für internationale Missionen beizutragen, so Ehrentraut. Von den ersten 450 Beamten würde der Bund ein Drittel und die Länder zwei Drittel stellen. Ab dem 451. Beamten würden Bund und Länder Beamte zu gleichen Anteilen bereitstellen.
Dieser sogenannte Königsteiner Schlüssel gehe auf einen Beschluss der Innenministerkonferenz von 1994 zurück, erläuterte Wehe. Dieser IMK-Beschluss habe auch eine Arbeitsgruppe der Länder begründet, die Polizisten in internationale Einsätze entsendeten. Damals war weder klar, dass alle Bundesländer sich an internationalen Polizeimissionen beteiligen würden, noch, dass sich Polizeimissionen dauerhaft verstetigen würden. Inzwischen habe sich die Arbeitsgemeinschaft Internationale Polizeimissionen (AG IPM), der Wehe seit 2002 vorsteht, zu einem Beispiel funktionierenden Föderalismus weiterentwickelt.
Derzeit sind 315 Beamte im Auslandseinsatz – von insgesamt rund 240.000 Polizisten in Deutschland. Damit sei-en nicht viele, aber gute Beamte im Einsatz, die mit Verständnis und Einfühlungsvermögen wichtige Schlüssel-funktionen in den Missionen besetzten, so Wehe. Bei 1-2 Promille der Beamten in Auslandsmissionen entständen daraus eigentlich keine personellen Belastungen; allerdings erkläre die derzeitige allgemeine Belastung und Un-zufriedenheit bei der Polizei die Wahrnehmung, dass Auslandsmissionen eine zusätzliche Last darstellten.
Der niedersächsische Landespolizeipräsident Uwe Binias unterstützte diese Sicht. Selbst im Spitzenjahr 2009 seinen von den 18.000 Polizeivollzugsbeamten in Niedersachsen gerade einmal 50 im Auslandseinsatz gewesen. Diese erführen hohe Akzeptanz seitens ihrer Vorgesetzten und es gäbe einen beachtlichen Pool von Interessier-ten und Wiederverwendern. Natürlich werde mit zunehmenden Aufgaben und immer knapper werdenden Res-sourcen auch die Frage des weiteren Engagements diskutiert. Insbesondere vor dem Hintergrund der demogra-phischen Entwicklung, einer laufenden Diskussion zur Aufgabenkritik und der wachsenden Schwierigkeit ausrei-chend Personalnachersatz für die Polizei allgemein und für den ehemals höheren Dienst im Besonderen zu rek-rutieren. Zurzeit sieht Uwe Binias aber noch keine Probleme bezogen auf das Land Niedersachsen.
Der Leiter des Arbeitsstabes Ausbildungs- und Beratungsprojekte im Bundespolizeipräsidium Bernd Jennert wies darauf hin, dass Auslandsverwendungen grundsätzlich nicht unter die gesetzlichen Aufgaben der Polizei fielen. Da auch die Berechnung des Personalbestandes diesen Kernaufgaben folge, seien für diese Verwendungen im Ausland keine Planstellen vorgesehen. Hier sei gesetzgeberische Abhilfe geboten. Für die Bundespolizei attestier-te er ebenfalls, dass Personalgewinnung und -rekrutierung kein Problem seien. Das bilaterale Polizeiprojekt in Afghanistan strahle aus, indem viele, die dort im Einsatz waren, andere Beamte für internationale Missionen begeisterten. Durch die Zuständigkeit für weitere Aufgaben im Ausland läge der Anteil der Bundespolizisten im Auslandseinsatz mit 1,8% deutlich höher als der der Polizisten im Landesdienst.
Demgegenüber steht die außenpolitische Wahrnehmung, dass Deutschland derzeit nicht ausreichend Beamte entsenden könne. Bulmahn berichtete, dass deutsche Beamte besonders für die Polizeiausbildung sehr gefragt seien, Deutschland der internationalen Nachfrage allerdings nicht nachkomme. Insgesamt seien zu wenig deut-sche Polizisten in UN-Einsätzen aktiv. Sie hält das für eine schlechte Entwicklung und fordert daher eine Ände-rung der Rahmenbedingungen, um mehr Beamte stellen zu können. Konkret schlug sie daher eine umfassende Bund-Länder-Vereinbarung vor, damit der Bund nicht nur die Mehrkosten im Einsatz, sondern über einen virtu-ellen Personalpool auch die Vorhaltung der entsendeten Beamten und gezielt ausgebildeter Spezialkräfte – wie etwa in den Bereichen Organisierter Kriminalität, Datenauswertung und Informationstechnologie – finanzieren könne.
Diese Einschätzung deckt sich mit der Sicht des Auswärtigen Amtes, widerspricht allerdings der Auffassung von Wehe, Binias und Jennert, die für ihre Landespolizeien und die Bundespolizei keine Nachschub- oder Finanzie-rungsprobleme sehen, sondern eher das gegenteilige Problem haben: zu wenig Nachfrage, um alle ihre entspre-chend interessierten und qualifizierten Beamten in Missionen entsenden zu können. Hier gibt es offensichtlich dringenden Koordinierungsbedarf zwischen den Entsendern und der Außenpolitik, um die Ursachen dieser ge-genseitigen Fehleinschätzungen zu identifizieren und zu beseitigen.

Das richtige Personal für den Auslandseinsatz

Eine zentrale Frage bei der konzeptionellen Weiterentwicklung deutschen Engagements in internationalen Poli-zeimissionen betrifft die Rekrutierung der Polizeivollzugsbeamten für Auslandseinsätze. So fordern einige die Etablierung von Stellenpools und speziellen Karrierepfaden für Auslandsverwendungen, während andere auf die bisherige Praxis setzen, Beamte aus ihren angestammten Dienststellen heraus zu entsenden, in die sie dann wieder zurückkehren. Wehe setzt weiterhin auf dieses Modell, da in den Missionen gutes Personal wichtig sei, dass nicht nur in Missionen wolle, sondern nach einem Jahr Auslandseinsatz in ihre alten Dienststellen zurück-kehre. Die Rückkehrgarantie in die alte Stelle biete zudem eine wichtige Sicherheit, falls es zu einem vorzeitigen Abbruch der Entsendung käme.
Aus außenpolitischer Sicht plädierte auch Bulmahn für einen hohen Anteil von Länderpolizisten in internationa-len Missionen. Sie brächten hohe soziale, interkulturelle, rechtsstaatliche und auch sprachliche Kompetenz in den Einsatz. Das entspräche dem internationalen Bedarf nach fachlich sehr gut ausgebildeten und breit aufge-stellten Kompetenzen.
Bernd Jennert stellte einen alternativen Vorschlag vor: einen gesonderten Karrierezweig für Auslandsverwen-dungen. Das würde eine Gleichstellung von Auslandsverwendungen mit anderen eher typisch karrierefördern-den Spezialisierungen ermöglichen. Ziel wäre eine stärkere Professionalisierung und Spezialisierung der Beam-ten in internationalen Missionen. Dafür schlägt Jennert mindestens 15 Jahre Dienstzeit in Deutschland als Vorer-fahrung (derzeit 8 Jahre) vor der Bewerbung für den Dienst im Ausland vor. An die Auswahl würden sich entspre-chende Fortbildungen, auch im Sprachbereich, vor einer ersten Entsendung anschließen. Im Gegensatz zur jetzi-gen Praxis, die von einer dauerhaften Rückkehr in die Dienststelle zu Hause ausgeht, würde in diesem Modell die Re-Integrationszeit nach der Rückkehr schon wieder zur Vorbereitung der nächsten Entsendung genutzt. So würden Auslandsbeamte zwischen ihren Entsendungen im normalen Dienstbetrieb geerdet und könnten ihre Alltagsorganisationen personell verstärken; zugleich ließen sich Missionen aber auch besser vorplanen.
Dieses Konzept stieß in der Tagung auf gespaltenes Interesse. Insgesamt herrschte die Einschätzung vor, dass es bisher im bestehenden System kein Problem gewesen sei, die richtigen Beamten zu rekrutieren, weshalb weder Stellenpool noch ein spezieller Karrierepfad erforderlich seien. Nichtsdestotrotz unterstütze Niedersachsen be-wusst Wiederverwender, die nach einiger Zeit in der Heimat in eine weitere Mission entsandt werden wollten, so Binias. Das entspräche dem Anforderungsprofil, für das man auf Kollegen aus dem tagtäglichen Dienst setze. Für ein Flächenland wie Niedersachsen sei weder ein Pool noch eine Auslandslaufbahn praktikabel. Eine bemer-kenswerte Innovation aus Nordrheinwestfalen stellte Dieter Wehe vor: Aufsteiger aus dem gehobenen in den höheren Dienst müssen als Teil ihrer Ausbildung für eine Woche in eine internationale Mission gehen. So würden alle künftigen Führungskräfte für internationale Einsätze sensibilisiert und könnten unter ihren Mitarbeitern für solche Einsätze besser werben.
Problematisch bleibe im bestehenden System die Entsendung von Spezialisten, bemerkte Binias. So könnten beispielsweise nur die Ermittler für organisierte Kriminalität entsendet werden, die sich freiwillig für Missionen meldeten. Folge davon wäre, dass nicht immer die richtigen Spezialisten zur Verfügung ständen und es auch an Beamten aus höheren Diensträngen mangele.
Auf Zustimmung stieß der von Wehe skizzierte und schon bestehende Pool von Beamten aus dem höheren Dienst: Eine recht kleine Gruppe von qualifizierte Beamte der obersten Ebene sollen für die Übernahme von Lei-tungsfunktionen in Missionen und internationalen Organisationen befähigt werden, indem sie wiederholt in Missionen eingesetzt und entsprechend aus- und fortgebildet werden.

Einsatzdauer

Eng verbunden mit der Frage nach einer fachlichen Spezialisierung für Auslandsverwendungen ist der Wunsch, längere Einsatzdauern zu ermöglichen. Das bisherige Modell sieht bei Auslandseinsätzen grundsätzlich eine Einsatzdauer von bis zu 12 Monaten vor und die Verfechter der dauerhaften Rückkehr in die angestammte Dienststelle möchten an dieser Praxis festhalten. Demgegenüber steht der von Bulmahn geäußerte Wunsch der Außenpolitik, bei der Einsatzdauer flexibler zu werden.
Ein mögliches Modell skizzierte Bernd Jennert: Zunächst könnten Beamte für ein halbes Jahr entsendet werden; gegen Ende der Missionszeit sollte dann gemäß der Wünsche der Beamten und den Rahmenbedingungen des Einsatzes die Entsendung um jeweils drei Monate verlängert werden können. Somit wären Stehzeiten von deut-lich über einem Jahr möglich, die oftmals Sinn machen könnten; zugleich wäre mit der quartalsweisen Exit-Option auch schwierigen Einsatzumfeldern Sorge getragen. Andre Heinrichs unterstrich, dass sich die Frage nach längeren Einsatzzeiten nur für wenige ausgewählte Positionen, aber nicht die Masse der eingesetzten Beamten stelle. Solche längeren Einsatzdauern machten dann auch ein externes Monitoring um so wichtiger, um festzu-stellen wie lange diese Beamten gut eingesetzt seien.

Eignung

Unter anderem durch den gemeinsamen Einsatz von Bundeswehr und Polizei in Afghanistan ist offensichtlich geworden, dass die körperliche Eignung von Soldaten und Polizisten für den gleichen Einsatzort an unterschied-lichen Parametern gemessen wird. So scheinen an die Tauglichkeit von Polizisten höhere Ansprüche gestellt zu werden als an die von Soldaten – auch wenn die Polizeibeamten beispielsweise als Berater in Ministerien einge-setzt würden und dort eine Bürotätigkeit verrichteten, die mit ihrem deutschen Dienstalltag vergleichbar wäre. Jürgen Hauptmeier vom Bildungszentrum Brühl führte aus, dass so gerade hoch qualifizierte und motivierte äl-tere Beamte nicht in den Einsatz kommen könnten, obwohl sie der Mission sehr dienlich sein könnten.
Eine Arbeitsgruppe unter Mitarbeit von Tobias Pietz (ZIF) und Philipp Jahn von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit befasste sich mit diesem Thema intensiv und schlug vor, einen Best Practice Abgleich der deut-schen Entsendeorganisationen vorzunehmen. So wäre es nicht nur hilfreich, wenn sich die 19 Polizeientsender über ihre durchaus unterschiedlichen Auswahlverfahren austauschten, sondern auch andere Organisationen wie die Bundeswehr, das ZIF und die GIZ mit einbezögen. Bei der GIZ spiele die psychologische Eignung inzwi-schen eine mindestens genauso große Rolle wie die medizinische. Bei der Polizei fände hingegen noch keine sys-tematische psychologische Untersuchung statt. Ebenso könnte die jährliche Überprüfung der Eignung, wie sie die GIZ vornimmt, eine wichtige Voraussetzung für längere Einsatzdauern in Polizeimissionen sein. Gemeinsam mit Bundeswehr, ZIF und GIZ könnte auch ein Austausch über einsatzspezifische medizinische Standards pro-duktiv sein. AG-Teilnehmer hinterfragten zudem, ob der reguläre Polizeiarzt die richtige Instanz zur Überprüfung der Missionstauglichkeit sei.

Entsendegesetz

Uwe Binias berichtete, dass das niedersächsische Innenministerium derzeit ein Entsendegesetz für Polizeimissi-onen vorbereite. Damit käme die Landesregierung einer Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag nach. Aus fach-licher Sicht sei ein solches Gesetz nicht erforderlich und die Tagungsteilnehmer bewerteten Entsendegesetze der Bundesländer überwiegend kritisch. So bemerkte der ehemalige Leiter der Abteilung für internationale Angele-genheiten im Bundespolizeipräsidium Eckehart Wache, dass die Diskussion um Länderentsendegesetze die Ent-sendestruktur für internationale Polizeimissionen gefährde.
Nichtsdestotrotz waren sich die Tagungsteilnehmer dahingehend einig, dass eine bessere Einbindung der Par-lamente wichtig sei. Edelgard Bulmahn und die Arbeitsgruppe zur parlamentarischen Kontrolle sehen hier eine Chance, durch bessere Information des Bundestags über Polizeimissionen, größere Akzeptanz und bessere Fi-nanzierung für diesen Bereich zu sichern. Die gemeinsame Befassung mit Missionen im Parlament könnte dann auch den zersplitterten Zuständigkeiten innerhalb der Exekutive entgegen wirken, so die AG-Teilnehmer. Wache stellte fest, dass Polizeimissionen dringend größerer öffentlicher Wahrnehmung bedürften. Das Parlament kön-ne diese Polizeileistungen in die Gesellschaft, aber auf jeden Fall zumindest ins Fachpublikum tragen. Philipp Rotmann vom Global Public Policy Institute warnte, dass die Befassung mit Missionen im Bundestag nicht zu Mikro-Management führen dürfe, wie es bei Bundeswehrmandaten geschehen sei.
Die aktuellen Überlegungen zum niedersächsischen Entsendegesetz verfolgten eine ähnliche Zielsetzung, so Binias. Es solle Anerkennung für internationale Polizeimissionen geschaffen werden und dafür sowohl die Perso-nalvertretungen im Land als auch die Landtagsabgeordneten in die Pflicht genommen werden. Der niedersächsi-sche Landesvorsitzende und stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Dietmar Schilff, der für die Verankerung des Entsendegesetzes im niedersächsischen Koalitionsvertrag eingetreten war, stellte klar, dass die Gewerkschaft der Polizei ebenso die Forderung nach einem Bundesentsendegesetz erhoben habe, welches dann ggf. eigene Landesgesetze entbehrlich machen könnte. Dennoch sei es auch dann erforderlich, dass sich die jeweilige Landespolitik mit der Entsendung ihres Personals intensiver beschäftigen müsse.
Strittig blieb, wie eine solche Bundesgesetzgebung vorangetrieben werden könne. Wache schlug eine Initiative des Bundesrates vor, während der ehemalige Staatssekretär im nordrheinwestfälischen Innenministerium Bren-del die Innenministerkonferenz für den angemessenen Verhandlungsort hält. Der Vorsitzende des Beirates Zivile Krisenprävention und ehemalige Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei hält hingegen die Etablierung ei-ner Berichterstattergruppe für Internationale Polizeimissionen aus den unterschiedlichen relevanten Ausschüs-sen des Bundestags für einen sinnvollen nächsten Schritt, um die Unterstützung für Polizeimissionen parlamen-tarisch zu verankern.

Erfahrungssicherung und konzeptionelle Kompetenz

Eckehart Wache mahnte, dass es bei der Initiierung und Konzipierung von Polizeimissionen an strategischem Vorwissen mangele. So sei zur Krisenprävention beispielsweise ein bilaterales Engagement in Marokko und Alge-rien wichtig. Deutschland engagiere sich aber nicht, weil man nicht in der Lage sei, solche Einsätze vorzubereiten. Die von Andre Heinrichs beklagte mangelnde Kompetenzsicherung wird gerade in diesem strategischen Bereich sehr offensichtlich. Bulmahn schlug darauf aufbauend vor, die systematische Kompetenzauswertung, -sicherung und -weiterentwicklung zu einem zentralen Punkt für die weitere politische Arbeit zu machen.
Dabei könne die Deutsche Hochschule der Polizei in Münster eine tragende Rolle spielen, so Wehe. Ein Lehrstuhl oder ein Institut für internationale Polizeieinsätze könnte eine systematische Ausbildung fürs Ausland bieten, die über ein einzelnes Seminar hinausginge. Ebenso wären Weiterbildungsangebote nicht nur für Polizisten sondern auch für andere Akteure erforderlich. So könnte in Münster zentral Kompetenzsicherung und -entwicklung be-trieben und dadurch die strategische Ausrichtung von Polizeimissionen gestärkt werden. Ein solcher Lehrstuhl wäre eine Win-Win-Situation, da internationale Polizeiarbeit schon im Profil der Hochschule angelegt sei und der Wissenschaftsrat fehlende Lehrstühle in diesem Bereich bemängelt habe. Durch den Auslandsbezug wäre das eine Finanzierungsaufgabe für den Bund.
Derzeit bereiten die Polizeiakademien in Lübeck, Brühl und Wertheim Beamte auf internationale Einsätze vor. Insbesondere an der Bundespolizeiakademie in Lübeck wurde in den letzten Jahren eine große Expertise für den Einsatz in Afghanistan und in anderen fragilen Kontexten entwickelt. Der Leiter des Lehrbereichs Aus- und Fort-bildung der Bundespolizeiakademie Andreas Poddig berichtete, dass dort mit inzwischen rund zehn Fachlehrern in den letzten Jahren in der Spitze gut 20 Afghanistan-Seminare pro Jahr durchgeführt wurden. Jetzt schwinde aber mit dem Bundeswehrabzug aus Afghanistan auch die Nachfrage nach Einsatzvorbereitung für Polizisten. Da nicht im gleichen Umfang Training für andere ähnlich gelagerte Einsätze benötigt würde, drohe nun dieser mühsam aufgebaute Kompetenzbereich wegzubrechen. Das betreffe nicht nur die Ausbildungskapazitäten, son-dern auch Evaluierung und Vernetzung, die die Bundespolizeiakademie in der Einsatznachbereitung leiste. Diet-er Wehe sieht hier den Bund in der Pflicht, diese Kapazitäten durch die Übernahme der Ausbildungskosten abzu-sichern.
Hier könnten sich auch Synergieeffekte durch die Zusammenarbeit in der Einsatzvorbereitung mit der Bundes-wehr (z.B. Zentrum Innere Führung), dem ZIF, der GIZ und anderen Entsendern ergeben. Aus seiner Forschung zur Lernfähigkeit von Institutionen, insbesondere auch von UN-Polizeikomponenten schloss Rotmann, dass eine solche Vernetzung mit Diplomaten, mit der Entwicklungszusammenarbeit, mit der Zivilgesellschaft und mit dem Militär wichtig sei, um in der gemeinsamen Vorbereitung durch Szenarien und Planspiele das Erlernen von Ko-operation vom Einsatz in dessen Vorbereitung zu verlagern.
Insgesamt gelte es, Institutionen und Routinen zu etablieren, die es ermöglichten, die Nachbereitung, inklusive psychosozialer Auswertung, auch inhaltlich zur Verbesserung der Einsatzkonzeption zu nutzen. Ziel könnte es dabei sein, eine gemeinsame Doktrin zu entwickeln. Schon simple Vernetzungsmöglichkeiten von Rückkehrern könnten dabei einen wichtigen Beitrag zur Kompetenzsicherung leisten. Eine solche offene Lernkultur, wie sie auch Wehe anmahnt, könnte die Grundlage dafür bieten, dass deutsche Polizisten künftig besser an exponierten Stellen internationale Polizeimissionen konzeptionell gestalten könnten.