Gottesdienst am Ostermontag, 25. April 2011 in der St. Johannis Kirche Groß Berkel
Orgelvorspiel
Ton-Einspielung: Ausschnitt aus Tagesthemen und Tagesschau 28./29.4.1986
Tagesthemen, 28.4.1986: Atomreaktor-Unfall in der Sowjetunion, hohe radioaktive Strahlungen in Skandinavien gemessen.
Tagesschau 29.4.1986: Guten Abend, meine Damen und Herren, in dem sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl ist es offenbar zu dem gefürchteten GAU gekommen, dem Größten Anzunehmenden Unfall. Auch drei Tage nach dem Ausbruch ist der Nuklearbrand noch immer nicht unter Kontrolle. Die sowjetische Nachrichtenagentur TASS meldete, zwei Menschen seien ums Leben gekommen. In der Nähe der Anlage würden die Bewohner evakuiert. Um Tschernobyl wurde eine 30km breite Sicherheitszone gezogen. Es scheint sicher, dass der Reaktorkern teilweise oder sogar ganz geschmolzen ist. Sowjetische Vertreter ersuchten bei dem deutschen Atomforum in Bonn und in Schweden um Hilfe bei der Eindämmung des Brandes.
Begrüßung
Auch 25 Jahre nach dieser Todeserfahrung, die bis heute „ausstrahlt“, feiern wir heute Ostern. Ostern im Angesicht des Todes. Herzlich willkommen zum Gottesdienst heute Morgen.25 Jahre ist das nun her. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass die Radioaktivität von Tschernobyl 200 x höher war als die freigesetzte Radioaktivität der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki zusammen. In Fukushima wird auf Dauer eine ähnlich hohe Freisetzung erwartet.
Für Tschernobyl spricht man von 30.000 – 60.000 Todesfällen durch Krebs. Dazu kommt die gleiche Anzahl von Schilddrüsenkrebs. Hinter jedem Kranken, hinter jedem Toten steht ein Menschenschicksal.
Vor allem Gebiete in Weißrussland, der Ukraine und Russland wurden stark radioaktiv verseucht – noch weit vor Finnland, Schweden und Österreich. Auch betroffen waren der europäische Teil der Türkei, Slowenien, die Slowakei, die Schweiz, Deutschland und Großbritannien. Insgesamt war 40 % der Fläche Europas betroffen.
Massenhafter Tod – zeichenhaftes Leben. Aufstand gegen den Tod. Wir werden sehn, was diese Auseinandersetzung zwischen Tod und Leben für den Gottesdienst heute bedeutet – für das Osterfest, für unser Leben.
So legen wir diese Stunde in Gottes Hand.
Votum: Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Eingangslied: Christ ist erstanden (EG 99)
Ehr Sei dem Vater und dem Sohn ...
Textcollage: Gesundheitliche Folgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl
Sprecher 1: Über die gesundheitlichen Folgen wird auch 25 Jahre nach der Katastrophe noch immer kontrovers diskutiert. Unstrittig ist, dass das massiv freigesetzte radioaktive Jod 131 von den Schilddrüsen der Menschen in den verstrahlten Gebieten intensiv aufgenommen wurde. Dies führte zu einem erheblichen Anstieg von Schilddrüsenkrebs.
Sprecher 2: Noch heute messbar aus dem Tschernobyl-Fallout ist außerdem das radioaktive Cäsium-137. Es hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren - und das bedeutet: Erst nach 300 Jahren wird es vollständig zerfallen sein.
Eine langfristige radioaktive Belastung droht außerdem durch Strontium mit einer Halbwertszeit von 29 Jahren sowie durch Plutonium und dessen verschiedene Abbauprodukte. Erst in 24.000 Jahren werden einige davon zur Hälfte abgebaut sein. Sowohl Cäsium als auch Strontium und Plutonium werden noch immer über den Kreislauf von Boden, Pflanze und Tier/Mensch weiterverbreitet. Auch Wind, Waldbrände und Transport durch die Flüsse tragen zur Verbreitung der radioaktiven Stoffe bei.
Sprecher 1: Was bedeutet das für die Menschen in der Region? Eine direkte Folge des Unfalls ist die Zunahme der Brustkrebserkrankungen. Ihre Zahl hat sich in den Gebieten rund um die Stadt Gomel verdoppelt.
Krebsspezialisten prognostizieren außerdem eine Zunahme von Tumoren der Harn- und Geschlechtsorgane, Lungenkrebs und Magenkrebs. In der Region Gomel ist sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen ein Anstieg der Leukämiefälle um etwa 50 Prozent im Vergleich zum Zeitraum vor der Katastrophe zu verzeichnen.
Sprecher 2: Seit Ende der 90er-Jahre häufen sich die Studien aus dem Bereich der Molekularbiologie, die einen Zusammenhang zwischen Niedrigstrahlung und Erbgutveränderungen nahe legen. Die Wissenschaftler sprechen von einer "genomischen Instabilität".
Sprecher 1: Wie schlimm sind die gesundheitlichen Folgen? Heute Bilanz zu ziehen, ist nicht seriös.
Die Latenzzeiten für Krebs (außer Leukämie) betragen zwischen zehn und dreißig Jahre. Es ist also noch viel zu früh, um einen deutlichen Anstieg der allgemeinen Krebsrate aufzeigen zu können. Abers schon jetzt steht fest: Der allgemeine Gesundheitszustand der Menschen in den verstrahlten Gebieten ist extrem schlecht. In der Folge der Tschernobyl-Katastrophe ist in der Bevölkerung auch bei vielen nicht bösartigen Erkrankungen ein massiver Anstieg zu verzeichnen. Was eine Ärztin dazu sagen könnte?
Sprecherin: Die Zimmer in unserem Kinderkrankenhaus in Weißrussland sind klein und oft überfüllt, denn in jedem stehen sechs bis acht Betten. 12.000 Kinder werden hier pro Jahr behandelt. Ihre Zahl steigt, denn die Region Gomel ist seit dem Reaktorunfall von Tschernobyl radioaktiv belastet. Die Reaktorkatastrophe ist noch immer eine Gefahr für die Kinder. Zwei Prozent der Schwangerschaften werden aus medizinischen Gründen unterbrochen. Viele Kinder werden krank oder behindert geboren. Besonders Krebs und Herzkrankheiten haben zugenommen.
Salutio - L: Der Herr sei mit euch; G: und mit deinem Geist
Gebet: An die Opfer denken
Wir denken an diesem Ostertag an die Opfer von Tschernobyl. Wir denken an die Menschen, die beim Reaktorunfall gestorben sind – damals vor 25 Jahren. Wir denken an die Frauen und Männer, die krank geworden und gestorben sind. Wir denken an die Kinder, die krank geboren und gestorben sind. Wir denken an die Menschen, die geholfen haben – ohne zu wissen, wo sie hineingeraten sind und gestorben sind. Wir denken an die vielen, die in der verstrahlten Region leben und leiden. Wir denken an die Menschen, die überlebt haben und trauern. Wir denken an die Männer, die Frauen und Kinder, die leben und nicht wissen, wie viel Zeit ihnen noch zum Leben bleibt. Wir denken an die Menschen in Japan. An die, die ihre Leben auf dem Kraftwerksgelände riskieren. Wir denken an die Menschen in der Evakuierungszone, die nicht wissen, wie es weitergehen soll. Wir denken an alle, die noch gar nicht abschätzen können, was die jüngste Katastrophe für sie bedeutet. An all die denken wir und schweigen.
Schweigeminute
Liedruf: Kyrie (EG 178.11) (3 x gesungen)
Gloria-Lied: Er ist erstanden, Halleluja... (EG 116; 1 + 5)
Biblische Lesung aus dem Alten Testament – Jesaja 25, 8+9
An diesem Tag ist uns zugesagt. Der Herr wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der Herr wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der Herr hat's gesagt. Zu der Zeit wird man sagen: »Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe. Das ist der Herr, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.«
Die Osterbotschaft: Biblische Lesung – Lukas 24 in Auswahl
Und siehe, zwei von ihnen gingen von Jerusalem nach Emmaus. Und sie redeten miteinander … Da nahte sich Jesus und ging mit ihnen. Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.
Musik - meditativ und kurz – ein paar Takte
Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth… Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war.
Musik - meditativ und kurz – ein paar Takte
Und sie kamen nahe an das Dorf. Und sie sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen.
Musik - meditativ und kurz – ein paar Takte
Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen. Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete? Und sie kehrten zurück nach Jerusalem und sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden.
Halleluja: L: Der Herr ist auferstanden. G: Er ist wahrhaftig auferstanden! Halleluja!
Glaubensbekenntnis
Lied: Wach auf, mein Herz (EG 114; 1 - 3 + 9)
Predigt – zu Lukas 24, 36-49
Lukas 24,36-49a – im direkten Anschluss an den eben gehörten Text:
Als sie aber davon redeten, trat er selbst, Jesus, mitten unter sie und sprach zu ihnen: «Friede sei mit euch!» Sie erschraken aber und fürchteten sich und meinten, sie sähen einen Geist. Und er sprach zu ihnen: «Was seid ihr so erschrocken, und warum kommen solche Gedanken in euer Herz? Seht meine Hände und meine Füsse, ich bin's selber. Fasst mich an und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich sie habe.»
Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und Füsse. Als sie aber noch nicht glaubten vor Freude und sich verwunderten, sprach er zu ihnen: «Habt ihr hier etwas zu essen?» Und sie legten ihm ein Stück gebratenen Fisch vor. Und er nahm's und aß vor ihnen.
Er sprach aber zu ihnen: «Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: ‚Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen.’» Da öffnete er ihnen das Verständnis, sodass sie die Schrift verstanden, und sprach zu ihnen: «So steht's geschrieben, dass Christus leiden wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage; und dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern. Fangt an in Jerusalem und seid dafür Zeugen. Und siehe, ich will auf euch herabsenden, was mein Vater verheißen hat.»
In einer Email vom 16. März lud Lars-Nolte von der Arbeitsgemeinschaft “Hilfe für Tschernobyl-Kinder” der Hanoverschen Landeskirche alle Gemeinden ein, heute einen Gottesdienst im Gedenken des 25. Jahrestags der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl zu feiern. Ebenso soll dabei auch der aktuellen japanischen Katastrophe und deren Opfer gedacht werden.
So stand es in dieser Nachricht aus dem Haus kirchlicher Dienste. Was für ein Spagat! Dieses Wochenende feiern wir das höchste christliche Fest und gleichzeitig sollen wir der Opfer eines der schwärzesten Kapitel der Technologiegeschichte gedenken! Wie soll das nur gehen?
Zur Unterstützung gibt es von der Landeskirche eine Gottesdiensthilfe. Darin finden sich unter anderem die offiziellen Positionierungen der Landeskirche zur Atomenergie. Und die sind überraschend klar, wenn man sie mit Verlautbarungen der Kirche zu anderen kontroversen gesellschaftlichen Themen vergleicht.
Die Erklärung der 19. Landessynode aus dem Jahr 1988, kommt zu dem Ergebnis, Kernenergie müsse „verzichtbar gemacht werden“ und sei als Grundlage für eine künftige Energiepolitik ungeeignet.
1997 weist die 22. Synode darauf hin, dass es auch nach 40 Jahren Kernenergienutzung kein ausreichendes Wissen darüber gibt, ob und wie die Biosphäre vor Schäden durch hoch-radioaktive Strahlungen wirksam geschützt werden kann. Darum hält sie die Folgen und Risiken der Kernenergie für unabsehbar und bis heute unbeherrschbar. Daraus folgert sie: Anstelle der Kernenergie wie auch der Nutzung fossiler Brennstoffe muss eine weitaus rationellere und effizientere Energienutzung als bisher und die Erforschung und Verwendung anderer, erneuerbarer Energiequellen zur Grundlage der Energiepolitik gemacht werden.
Dabei stellt sich die Kirche auch immer wieder gegen die alleinige Erkundung von Gorleben als Endlagerstandort und die Castor Transporte dorthin.
Auch die Kirchen bei uns im Kreis sprechen da klare Worte. Die Arbeitsgemeinchaft christlicher Kirchen in Hameln – inkl. Superintendent Meyer - hat kürzlich festgestellt:
“Auch wenn bei uns keine derartigen Störfälle eintreten sollten: Das Problem der Endlagerung ist bisher nicht gelöst. Ohne die Lösung dieses Problems ist ein Betrieb von Atomkraftwerken – auch vorübergehend – nicht zu verantworten. Die Rede von einer „Brückentechnologie“ verschleiert diesen Zusammenhang.
Die Entscheidung der Bundesregierung, eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken zu genehmigen, halten wir daher für falsch. Die Nutzung der Atomenergie muss im Zusammenhang mit der Nutzung und Entwicklung erneuerbarer Energiequellen bewertet werden: Die Verlängerung der Laufzeiten von Atomanlagen beschleunigt den Umbau der Energieversorgung nicht. Sie verzögert und gefährdet ihn.
Wir halten einen schnellstmöglichen Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie für geboten.” So der Superintendent und die Arbeitsgemeinschaft in Hameln.
Deutlichere Worte kann man ja eigentlich gar nicht finden. Doch wer am Samstag Vormittag NDR Info hörte, konnte dort einem Interview mit unserem neuen Bischof Ralf Meister lauschen. Der meinte, dass es im heutigen Gottesdienst gar nicht um Politik ginge, sondern lediglich darum, denen zu danken, die bisher Hilfe für Tschernobyl geleistet haben. Also noch ein Spagat.
Lassen Sie uns diesen doppelten Spagat abarbeiten: einerseits das höchste Fest, aber fürchterliche Katastrophen; andererseits klare kirchliche Positionierungen, aber Führungspersonal, das vor ihrer Vertretung zurückscheut. Auflösen können wir das sicherlich nicht, aber Anregung bieten, um die eigene Orientierung dabei zu sortieren.
Fangen wir mit dem Zusammenhang zwischen Ostern und der Atomkraft an. Im Evangelium für heute haben wir von den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus gehört. Sie sind zutiefst betrübt. Alle ihre Hoffnungen haben sie auf Jesus gesetzt. Er war ihre Rettung, aber nun ist er schon drei Tage tot. Nicht nur, dass sie am zweiten Tag endgültig die Hoffnung aufgegeben haben, dass sein Geist noch einmal in seinen Körper zurück kehren könnte. 1-2 Tage gestatte dafür der damals vorherrschende Volksglaube. Vielmehr, er starb nicht irgendeinen Tod. Am Holz musste er sterben – die Hinrichtungsform für Ungläubige. Ein solch unreiner Tod musste doch das endgültige Ende bedeuten. Kein Wunder also, dass sie entmutigt und aller ihrer Hoffnung beraubt waren.
Jesus und seine Jünger hatten einen Gegenentwurf. Nicht nur zur vorherrschenden religiösen Orientierung, sondern auch zu der darauf aufbauenden gesellschaftlichen Ordnung. Echte Revoluzzer eben. Und alles sah gut aus. Sie fanden immer mehr Anhänger, beim Einzug nach Jerusalem am Palmsonntag wurde Jesus gefeiert. Doch jetzt war der tot! Alles vergebens? Keine Aussicht mehr, die Gesellschaft zur Umkehr zu bewegen?
Damals ging es um die ganz großen Fragen. Die philosophischen: was soll das Leben leiten – gottfürchtende Befolgung der Gesetze oder gottvertrauende Nächstenliebe? Die gesellschaftlichen: gilt die Sorge Gottes lediglich dem auserwählten Volk der Israeliten oder allen, die sich zu ihm bekennen?
Natürlich sind das recht abgehobene Fragen, aber die unterschiedlichen Orientierungen, die sich daraus ergeben, lenken die Menschen und Gesellschaften, die sich darauf beziehen, in ihrem täglichen Leben in sehr unterschiedliche Richtungen.
„Yes we can!“ Dieses Motto aus Barack Obama’s Wahlkampf hätte auch ihr Leitspruch sein können. Aber für die zwei Wanderer auf dem Weg nach Emmaus nur bis Karfreitag oder vielleicht Karsamstag. Jetzt am Ostersonntag schien das alles Vergangenheit zu sein.
Unterschiedliche Orientierungen treffen auch heute aufeinander. Wenngleich es bei der Energiepolitik, nicht um die ganz großen Gesellschaftsentwürfe geht, stehen hier dennoch wichtige Weichenstellungen an.
„Yes we can!“ mag man auch der Anti-Atom-Bewegung in den Mund legen. Von einer Außenseiterposition fernab der Parlamente der 1970er Jahre ist die Kritik an der Kernenergie inzwischen im politischen Mainstream angekommen. Der Ausstieg wurde beschlossen und die Entwicklung erneuerbarer Energien vorangetrieben.
Doch dann kam der Ausstieg aus dem Ausstieg, die Rücknahme der Unterstützung für Energieeinsparung an Gebäuden, die Reduzierung der Einspeisevergütungen für Solarstrom. Alles vergebens?
Natürlich würde ich es mir mit einer solchen plumpen Gegenüberstellung zu einfach machen.
Beides sind die Sichtweisen derer, die sich ganz überzeugt dafür einsetzen, was sie für das Richtige halten. Die Sichtweisen der anderen, deren Orientierungen in Frage gestellt werden, finden hier keinen Raum.
Diese Orientierung bietet das Evangelium für heute auch nicht. Es zeigt lediglich, wie die Wanderer die Zweifel an ihrer Mission überkommen. Jesus, den sie zunächst nicht erkennen, legt ihnen dar, dass sein Tot und die Auferstehung am dritten Tag nicht das vermeintliche Unglück, sondern vielmehr die notwendige Erfüllung prophetischer Weissagungen ist.
Auf dieser rationellen Ebene hilft ihnen das dennoch nicht weiter. Sie sind weiterhin davon überzeugt, dass ihr Projekt gescheitert ist. Erst als er ihnen am Abend das Brot bricht, erkennen sie ihn und verstehen, dass die Nachrichten seiner Auferstehung wahr sind, und ihr Projekt einer neuen religiösen und gesellschaftlichen Ordnung eine große Zukunft hat. Voller Überzeugung tun sie der Welt kund: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden!
Der Predigttext liefert auch keine Darstellung der Alternativen zur christlichen Orientierung, aber er liefert deutliche Evaluierungskriterien, die sich in den grundsätzlichen Texten eben dieser alternativen Orientierung finden. In Vers 44-46 spricht der Auferstandene: „Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen. Da eröffnete er ihnen das Verständnis, sodass sie die Schrift verstanden, und sprach zu ihnen: So steht’s geschrieben, dass Christus leiden wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage;“
Die Meßlatte bieten also die grundsätzlichen Texte, auf die sich auch die andere Seite bezieht. Zugegeben ist das kein inhaltlicher Maßstab, sondern ein methodischer. Aber immerhin.
Wohin bringt uns das in der Frage der Energiepolitik? Mangels einschlägiger Gesetze, Propheten und Psalmen im direkten Vergleich nicht viel weiter. Aber an zwei Stellen können wir einhaken und ein gutes Stück Orientierung ernten.
Zum einen sind die Auferstehung Christi und die Erlösung, die uns damit geboten wird, kein passives Heilsversprechen. Vielmehr sind wir gefordert, unseren Teil zu leisten. Vers 47 erweitert die Anforderungen der Schrift: „und dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern.“
Wir können uns also nicht zurücklehnen und einfach Gnade konsumieren. Wir selbst müssen den Geist des Evangeliums leben und uns für seine Umsetzung einsetzen. Der Auftrag ist klar: wie seine Jünger sollen auch wir Revoluzzer im Sinne Jesu Christi sein. „Yes we Can!“ Können wir für uns also um das Motto der Blues Brothers ergänzen: „We’re on a mission from god." Und daraus wird dann ein: „Yes We Must!“
Nachdem wir den Auftrag geklärt haben, bleibt dann immer noch das Problem mit der Orientierung. Das ist für uns glücklicherweise einfacher, da zumindest innerhalb unseres Kulturkreises die Frage der grundsätzlichen philosophischen und gesellschaftlichen Orientierung geklärt ist. Das haben Jesus, sein Jünger, die Apostel und ihre Nachfolger in den vergangenen 2000 Jahren für uns erledigt. Das nachrangige Problem der Energiepolitik können wir also an den inhaltlichen Maßstäben der Schrift und ihren ethischen Ansprüchen beurteilen.
Zwar fehlt auch hier die einfache Antwort. Die Orientierungsmarken sind aber klar: einerseits der Auftrag, uns die Welt untertan zu machen und zum anderen unsere Verantwortung der Schöpfung gegenüber. Wie diese Prinzipien zu interpretieren sind, müssen wir natürlich selbst entscheiden. Dieser Abwägungsprozess ist nicht einfach.
Der Auftrag, uns die Welt untertan zu machen, scheint Kernspaltung zur Energieerzeugung nicht auszuschließen. Die Verantwortung der Schöpfung gegenüber fragt natürlich, ob wir es uns leisten können, strahlenden Müll für abertausende von Generationen zu hinterlassen? Bedeutet Verantwortung für die Schöpfung zugleich nicht auch eine Wirtschaft, die die Bedürfnisse der Menschen befriedigen kann? Und damit billige Energie?
Warum tun wir uns mit diesem Abwägungsprozess so schwer? Wahrscheinlich, weil wir vor einer neuen Qualität dieser Abwägungen stehen. Wenn unsere Vorfahren große Entscheidungen getroffen haben, gingen sie aufgrund ihres technologischen Standes davon aus, dass die Auswirkungen räumlich und zeitlich begrenzt sein würden. Die Konsequenzen ihres Handelns beschränkten sich auf ihr direktes Lebensumfeld und die Folgen vielleicht noch auf die nächste Generation. Alles in allem ein guter Maßstab für das, was wir heute Nachhaltigkeit nennen. Heute wissen wir natürlich auch, dass diese Annahmen nicht immer stimmten; man denke nur an die Waldrodung rund ums Mittelmeer oder in der Lüneburger Heide.
Was seit EINER Generation anders ist, ist, dass wir wissen, dass unsere Entscheidungen sehr langfristige und grenzüberschreitende Folgen haben. Und wir wissen das nicht nur in Retroperspektive, sondern schon zu dem Zeitpunkt, an dem wir die Weichen stellen müssen. Man denke nur an die Ozonschicht, sauren Regen, Klimawandel und Atommüll. Nichts von dem ist zeitlich oder räumlich begrenzt. Und die Abwägung zwischen Bewahrung des Bestehenden und der Erschließung neuer Entwicklungsmöglichkeiten wird immer komplexer, die Fristen zur Entscheidungsfindung immer kürzer, die potenziellen Auswirkungen immer größer.
Damit kommen wir endlich und zum Abschluss zum zweiten Spagat zwischen eindeutiger Positionierung und politischer Opportunität. Die klaren Antworten gibt es nicht und die menschlichste Reaktion darauf ist natürlich eine Vermeidungsstrategie. Das Vogel-Strauß-Prinzip: Kopf in den Sand und es wird schon gut gehen. Aber genau das ist die falsche Strategie.
Wie eben schon festgestellt, gilt „Yes We Must!“ – selbst, wenn das „Can“ – das Können – immer schwieriger wird.
Wir haben eine Verpflichtung unserer Gesellschaft, unseren Nächsten, den nicht-so Nächsten und folgenden Generationen gegenüber, Entwicklung zu gestalten, und nicht nur laufen zu lassen. Wir müssen uns auf schwierige Abwägungsprozesse einlassen, sie mitgestalten und uns dabei trauen, Positionen einzunehmen und dafür zu stehen. Komplexität darf keine Ausrede sein, die wird weiter zunehmen und damit müssen wir uns auseinandersetzen. Der Theologe Hans-Joachim Kraus meint sogar: „nur der Täter des Wortes Gottes ist sein wirklicher Hörer.“
Lassen Sie uns zu den wirklichen Hörern gehören und uns alle an der Gestaltung zukünftiger Energiepolitik beteiligen. Egal, ob Sie nachher mit nach Grohnde radeln oder sich lieber kopfschüttelnd von der Demonstration fern halten, weil Sie Atomkraft für unverzichtbar halten: engagieren Sie sich in diesem Diskurs und ergreifen Sie Ihre Position! Aus Bequemlichkeit heraushalten, gilt nicht! Vor der scheinbaren Ausweglosigkeit der Situation zu resignieren, noch viel weniger, wie uns die Jünger von Emmaus lehren.
Die Sperrzone um Tschernobyl ist 30 km groß, die erste Evakuierungszone von Fukushima 20 km. Nach Grohnde sind es von hier weniger als 10 km. Unsere Nächsten – im wahrsten Sinne des Wortes – verlangen von uns Einmischung – so oder so.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Musik
Abkündigungen
Lied: Wir danken dir, Herr Jesu Christ (EG 107; 1 - 3)
Fürbitten
L: Wir sehnen uns nach einem Leben in österlichem Licht. Aber wir gehen viel zu wenige Schritte, die Leben eröffnen. Wir lieben unsere Erde. Aber wir haben Anteil in ihrer Zerstörung. Wir gehen fahrlässig mit ihr um. So beten wir zu dir:
L: Gott, wir beten für Gerechtigkeit, für Frieden, für die Bewahrung der Schöpfung, für Vertrauen und Verständigung zwischen den Völkern und zwischen den Generationen.
G: Wir wollen das unsere dazu tun.
L: Wir beten für Belarus/Weißrussland, für die Menschen im Bezirk Gomel, für die Menschen in Japan, für die Kranken zuhause und in den Krankenhäusern. Wir beten für die Armen, für die Leidenden, für die Mutlosen – dort, bei uns, in aller Welt, dass Gott Hoffnung auf eine bessere Zukunft schenke.
G: Wir wollen das unsere dazu tun.
L: Wir beten für alle, die aufstehen und einstehen für das Leben, hier in unserm Ort, in Grohnde, überall auf der Welt. Für die, die sich nicht zufrieden geben mit dem, was ist, die sich einsetzen für die Zukunft von uns allen, von unseren Kindern, von den nachfolgenden Generationen.
G: Wir wollen das unsere dazu tun.
L: So beten wir gemeinsam: Vater unser ...
Sendung
Segen